Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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für die Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung: Im Wahlkreis IV Obersteier<br />
nahm Michael Schoiswohl 332 den ersten Listenplatz ein. Der aus Gusswerk bei<br />
Mariazell gebürtige Obersteirer war bereits seit 1907 Mitglied des Abgeordnetenhauses<br />
im Reichsrat gewesen <strong>und</strong> blieb bis Juli 1923 Vertreter der obersteirischen<br />
Christlichsozialen im Parlament. Die abschließende Devise der Landesparteileitung<br />
lautete: Es gilt noch tausende Unentschiedene für unsere Partei zu gewinnen!<br />
Kein Tag bis zum 16. Februar darf unbenutzt vorübergehen! Mit dem christlichen<br />
Volke, für das christliche Volk! Das soll unsere Losung sein! 333 Spätestens seit dem<br />
Wahlgang zur Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 334 war<br />
den Christlichsozialen klar geworden, dass das neue Zeitalter der Demokratie ganz<br />
andere politische Organisationsformen als bisher erforderte. Sie begriffen, dass es<br />
nicht genügte, bloß „blinde Mitläufer“ bei den Wahlen anzusprechen, sondern dass<br />
es galt, das politische Interesse der Menschen für die christliche Weltanschauung<br />
zu wecken. Die Politisierung der so genannten Volksmassen hieß, die Wähler <strong>und</strong><br />
Wählerinnen in feste Organisationsstrukturen einzubinden. Die parteipolitischen<br />
Gegensätze zwischen „rot“ <strong>und</strong> „schwarz“ schienen überdies unüberwindlich geworden<br />
zu sein: Die letzten Kämpfe haben zur Genüge gezeigt, dass der politische Kampf<br />
vorzüglich, wenn nicht in erster Linie, Weltanschauungskampf ist, der seine Wogen<br />
in alle Kreise (<strong>und</strong>) Stände hineinschlägt. 335<br />
Um auf die kommenden Landtagswahlen vorbereitet zu sein, beriefen die steirischen<br />
Christlichsozialen ihren ersten Parteitag im März 1919 ein, bei dem sie ihr<br />
neues Organisationskonzept vorstellten. Nicht als „Bauernpartei“, sondern als Volkspartei<br />
sollte für alle Stände <strong>und</strong> für die politischen Organisationen in Stadt <strong>und</strong><br />
Land ein gemeinsamer Oberbau in der Form der Partei <strong>und</strong> Parteileitung geschaffen<br />
werden. Mit einiger Sorge blickte man auf die landwirtschaftlichen Dienstboten,<br />
die „vielfach gewillt sind, zu den Sozialdemokraten überzugehen“. Es war deshalb<br />
geplant, jenen eine eigene Organisationsform zu ermöglichen, ohne den „Frieden<br />
des Bauernhauses“ zu stören. Gr<strong>und</strong>sätzlich war vorgesehen, die landwirtschaftliche<br />
Bevölkerung pfarrweise im Bauernverein, die nicht-landwirtschaftliche Bevölkerung<br />
in Ortsgruppen des Christlichsozialen Vereins zu organisieren <strong>und</strong> in jedem politischen<br />
Bezirk ein Sekretariat einzurichten. Zusätzlich sollte eine politische Abteilung<br />
in der katholischen Frauenorganisation eingerichtet werden, um den Bedürfnissen<br />
der Wählerinnen besser zu entsprechen. Zwecks der richtigen ideologischen „Aufklärung“<br />
hatten außerdem alle politischen Funktionäre dem Katholischen Volksb<strong>und</strong><br />
beizutreten. 336 In einem Aufruf der christlichsozialen Parteileitung vom April 1919<br />
baten Rintelen <strong>und</strong> Ahrer um reichliche Spenden für den Wahlfonds: Was die Flügel<br />
für den Adler sind, das ist der Wahlfonds für die Partei. (…). Am 11. Mai sind die<br />
332 http://www.parlament.gv.at/WW/DE/PAD_01765/ah_01765.shtml 18.12.2009.<br />
333 An die christlichen deutschen Männer <strong>und</strong> Frauen des Landes Steiermark! In: Grazer Volksblatt<br />
(17.1.1919) S. 1.<br />
334 Die CSP wurde mit 69 Mandaten hinter der Sozialdemokratie mit 72 Mandaten zur zweitstärksten<br />
Fraktion in der Konstituierenden Nationalversammlung.<br />
335 Die Organisation der Christlichsozialen. In: Grazer Volksblatt (19.3.1919) S. 1.<br />
336 Die Organisation der Christlichsozialen. In: Grazer Volksblatt (19.3.1919) S. 1.