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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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Am Abend des 3. Dezember 1933 lief gerade eine Theatervorstellung im katholischen<br />

Vereinsheim Eisenerz, als zwei Papierböller das Fenster des Zuschauerraumes durchschlugen.<br />

Die Sprengsätze explodierten im Saal <strong>und</strong> die Glassplitter des geborstenen<br />

Fensters flogen in die Sitzreihen <strong>und</strong> auf die Bühne. Unter den Anwesenden brach<br />

Panik aus, doch zum Glück war niemand ernsthaft verletzt worden. 749 Das katholische<br />

Vereinsheim, das als Ausbildungsstätte des zur Bekämpfung der illegalen<br />

NSDAP ins Leben gerufenen Schutzkorps 750 in Verwendung stand, wurde seit dem<br />

Sommer 1933 Zielscheibe von insgesamt sieben nationalsozialistischen Anschlägen.<br />

Der Geschäftsführer des Vereinsheimes sah sich Anfang 1934 gezwungen, das<br />

Sicherheitsministerium um einen Beitrag zur Deckung der Auslagen zu bitten, die der<br />

Genossenschaft während der Ausbildung des Schutzkorps erwachsen war. Er begründete<br />

dies mit der Verschuldung des Heimes, welche durch die erlittenen Schäden<br />

am Gebäude <strong>und</strong> jenen aus Angst vor dem Terror verursachten Besucherschw<strong>und</strong><br />

entstanden war. 751 Gegen Ende Jänner 1934 machten einige Personen unangenehme<br />

Bekanntschaft mit dem Bombenterror. Ein Lehrer kam mit dem Schrecken davon, als<br />

um Mitternacht ein Papierböller durch sein Schlafzimmerfenster flog <strong>und</strong> explodierte.<br />

752 In der gleichen Nacht entkam der Regierungskommissär Franz Moser einem<br />

Attentat nur knapp, als ein mit Gas gefüllter Behälter vor seiner Wohnungstüre nur<br />

auf Gr<strong>und</strong> eines Defektes nicht losging. Vermutlich sollte dem streitbaren Regierungskommissär<br />

ein Denkzettel verpasst werden, weil dieser dem Treiben der illegalen<br />

Nationalsozialisten den Kampf angesagt hatte. In einem ausführlichen Schreiben<br />

an Vizekanzler Fey hatte Moser die Missetaten der Nationalsozialisten in Eisenerz<br />

Punkt für Punkt aufgezählt <strong>und</strong> konkrete Gegenmaßnahmen vorgeschlagen. Dem<br />

örtlichen Regierungskommissär war es zu „verdanken“, dass nicht nur der Krankenpfleger<br />

Anton I., sondern eine ganze Reihe anderer ortsbekannter Nationalsozialisten<br />

in ein Anhaltelager überstellt wurden. Die „staatstreue“ Bevölkerung hatte<br />

sich angeblich empört, weil Anton I., der auf Gr<strong>und</strong> offensichtlich vorgeschützter<br />

Bauchkrämpfe für haftunfähig erklärt wurde, gleich am nächsten Tag putzmunter<br />

zur Arbeit im Krankenhaus erschienen war. In seinem Schreiben regte Moser an,<br />

die Praktiken jener Ärzte, welche verhafteten Nationalsozialisten allzu nachsichtig<br />

gegenüber schienen, zu überprüfen. Der eifrige Regierungskommissär sorgte auch<br />

dafür, dass der Deutsche Turnverein in Eisenerz, wo lokale Nazis einen „Schlupfwinkel“<br />

gef<strong>und</strong>en hatten, kontrolliert wurde. Moser schilderte die Ohnmacht der<br />

„vaterländischen“ Bevölkerung gegenüber dem Terror der in Eisenerz agierenden<br />

fanatischen Nationalsozialisten. Machtlos müsse man mit ansehen, klagte Moser,<br />

749 StLA ZGS (BKA) K.83/10 (Fol.909).<br />

750 Gebhardt, Gendarmerie, S. 257–258.<br />

751 StLA ZGS (BKA) K.85/12 (Fol.1118). Laut dem mit 26.1.1934 datierten Schreiben belief sich der Gesamtschaden<br />

auf etwa 500 Schilling. Für Strom <strong>und</strong> Heizung wurde ein Betrag von 200 Schilling<br />

berechnet.<br />

752 StLA ZGS (BKA) K:88/15 (Fol.64–67) Wie sich später herausstellen sollte, war diese Tat möglicherweise<br />

von Sozialdemokraten begangen worden. Im Rahmen der so genannten Ersatzleistungen für<br />

Terrorakte wurde jedenfalls der Filialleiter des örtlichen Konsums zur Kasse gebeten. In seiner<br />

Berufung gab Edm<strong>und</strong> M. an, dass eine sozialdemokratische Täterschaft nicht erwiesen sei. Er<br />

selbst stehe mit dem Anschlag in keinem Zusammenhang.

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