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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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soll. 114 Die vagen Verhandlungsangebote des Kanzlers an die Sozialdemokratische<br />

Partei dienten offensichtlich zu deren Beschwichtigung, denn die maßgeblichen<br />

Männer in der CSP waren seit dem Beginn des Notverordnungskurses am 7. März<br />

entschlossen, ihre Machtposition auszubauen, um die Sozialdemokraten zu zwingen,<br />

eine Verfassungsreform zu akzeptieren. 115 Aus der Sicht des Ministers für Heereswesen<br />

<strong>und</strong> Obmannes der CSP, Carl Vaugoin, sollte sowohl der Nationalsozialismus<br />

als auch der Sozialismus auf Gr<strong>und</strong> ihrer verschleierten beziehungsweise offenen<br />

kirchenfeindlichen Ideologie bekämpft werden. Auch prangerte er die „landesverräterische<br />

Haltung“ der Sozialdemokraten in der so genannten Hirtenberger Affäre<br />

an. 116 Die Versuche des Kanzlers, mit dem Landesinspekteur der österreichischen<br />

NSDAP, Theo Habicht, über eine nationalsozialistische Teilhabe an einer antimarxistischen<br />

Regierung zu verhandeln, scheiterten hauptsächlich auf Gr<strong>und</strong> der<br />

Forderung der NDSAP nach Neuwahlen. Faktum ist, dass die verfassungsmäßigen<br />

Möglichkeiten, das Parlament zu reaktivieren, nicht zustande kamen <strong>und</strong> die vom<br />

Dritten Nationalratspräsidenten, dem Großdeutschen Sepp Straffner, am 15. März<br />

einberufene Sitzung des Nationalrates von der Regierung durch eine Polizeisperre<br />

ebenfalls verhindert wurde. 117 In der Folge regierte Dollfuß durch Notverordnungen<br />

basierend auf dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz (KWEG) vom<br />

24. Juli 1917 <strong>und</strong> schränkte Schritt für Schritt die demokratischen Freiheiten <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>rechte der Staatsbürger ein. 118 Bevor sich das Verfassungsgericht mit der vom<br />

Wiener Stadtsenat eingebrachten Beschwerde gegen die Notverordnungen befassen<br />

konnte, wurde auch diese durch den „Rücktritt“ der regierungsnahen Verfassungsrichter<br />

funktionsunfähig gemacht. 119 Obwohl die Stimmung am linken Flügel gärte,<br />

riefen die sozialdemokratischen Führer weder einen Generalstreik aus, noch kamen<br />

eventuell vorhandene Aufstandspläne zur Ausführung. Otto Bauer, der große Theoretiker<br />

der Sozialdemokratischen Partei, schreckte vor „dem ganz blutigen Ernst“<br />

eines Waffengangs, wie er später schrieb, wegen der übermächtigen Nachbarstaaten<br />

114 Kriechbaumer, „Dieses Österreich retten…“, S. 449; Leopold Kunschak, Österreich 1918–1934<br />

(Wien 1934) S. 183–184.<br />

115 Anton Staudinger, Christlichsoziale Partei <strong>und</strong> Errichtung des „Autoritären Ständestaates“ in<br />

Österreich. In: Jedlicka/Neck, Justizpalast, S. 73.<br />

116 Kriechbaumer, „Dieses Österreich retten…“ S. 437; 441. Gemeint sind jene von den Sozialdemokraten<br />

aufgedeckten illegalen Waffentransporte, die Anfang Jänner 1933 von Italien nach Ungarn<br />

über österreichisches Gebiet per Bahn geschleust wurden. In seiner Untersuchung [Dieter<br />

A Binder, Der Skandal zur „rechten“ Zeit. Die Hirtenberger Waffenaffäre 1933 an der Nahtstelle<br />

zwischen Innen- <strong>und</strong> Außenpolitik. In: Michael Gehler, Hubert Sickinger (Hrsg.), Politische<br />

Affären <strong>und</strong> Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim (Thaur/Wien/München 1995)<br />

S. 278–292] kommt der Grazer Historiker Dieter A. Binder zu dem Schluss, die Sozialdemokraten<br />

hätten die Veröffentlichung der Informationen instrumentalisiert, um die Demission Dollfuß’<br />

durch außenpolitischen Druck zu erzwingen.<br />

117 Werner Anzenberger, Martin Polaschek, Widerstand für eine Demokratie (Graz 2004), Kurzzitat:<br />

Anzenberger/Polaschek, Widerstand, S. 116–119.<br />

118 Goldinger/Binder, Österreich, S. 202–203.<br />

119 Anton Staudinger, Christlichsoziale Partei <strong>und</strong> Errichtung des „Autoritären Ständestaates“ in<br />

Österreich. In: Jedlicka/Neck, Justizpalast, S. 71.

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