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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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Die Mehrzahl solcher politischer Manifestationen lief gewaltlos ab. Bei Verhandlungen<br />

mit den Behörden konnten oftmals Ratenzahlungen, Gnadenfristen oder<br />

Rückzahlungen in Naturalien erwirkt <strong>und</strong> weiteres Unglück abgewendet werden.<br />

Nicht immer jedoch konnte der „Volkszorn“ gebändigt werden, besonders wenn es<br />

um Delogierungen von Familien ging, die samt dem Mobiliar auf der Straße landeten.<br />

Im Fall der Delogierung des arbeitslosen Werksarbeiters Franz G. in Donawitz<br />

kam es zu Ausschreitungen, nachdem etwa 20 Kommunisten in die Wohnung<br />

eingedrungen waren, Fenster <strong>und</strong> Türen aus den Angeln hoben <strong>und</strong> sich dort festhängten.<br />

Inzwischen hatten sich 700 bis 800 Menschen vor dem Haus versammelt.<br />

Die Gendarmerie musste erstmals Tränengas einsetzen, um die Hausbesetzer zu<br />

vertreiben. Als die Möbel weggeschafft werden sollten, erhob sich wütender Protest<br />

<strong>und</strong> bald flogen die ersten Steine. Die Beamten konnten sich schließlich nur durch<br />

das Anlegen ihrer Karabiner verteidigen. Zu guter Letzt konnte die Delogierung<br />

durch eine Geldsammlung abgewendet werden. 693<br />

Die Folgen der Wirtschaftskrise führten nicht nur zu Härtefällen bei Arbeitern<br />

<strong>und</strong> Bauern, sondern trafen auch die Gewerbetreibenden schwer. Auch ihnen fraßen<br />

erhöhte Steuern <strong>und</strong> Gemeindeabgaben die Erträge weg, die ohnehin durch die allgemeine<br />

Konsumflaute dahinschwanden. Bei einer lautstarken Demonstration Ende<br />

1931 machten die Leobener Gewerbetreibenden auf ihre Notlage aufmerksam. Die<br />

Gemüter erhitzten sich um die „fortwährenden Exekutionen“, bei denen die gepfändeten<br />

Waren in der öffentlichen Versteigerungshalle mangels Kaufinteressenten zu<br />

Schleuderpreisen verkauft wurden. Der Gastwirt Ludwig D. aus Leoben forderte<br />

die Gewerbetreibenden auf, solche Versteigerungen weiterhin zu vereiteln. In einer<br />

Resolution an die Steuerbehörde, die Bezirkshauptmannschaft <strong>und</strong> die Gebietskrankenkasse<br />

wurden die St<strong>und</strong>ung der Steuern <strong>und</strong> die Einstellung der Exekutionen<br />

gefordert. Eine Menschenmenge von um die tausend mit Knallfröschen <strong>und</strong> Böllern<br />

bewaffneten Demonstranten wälzte sich, begleitet von einem Hupkonzert der<br />

Taxiunternehmer, durch Leoben in Richtung Steueramt. Dort drangen mehrere<br />

Demons tranten gewaltsam ein, verprügelten einige Beamte <strong>und</strong> zerschlugen in ihrem<br />

Ungestüm eine Fensterscheibe. Bei der Gebietskrankenkasse, wo ein großer Böller<br />

zur Explosion gebracht wurde, mussten die Demonstranten durch einen Bajonettangriff<br />

der Gendarmerie zerstreut werden, nachdem es zu Zusammenstößen mit<br />

der städtischen Sicherheitswache gekommen war. Die Menschen beruhigten sich<br />

erst, als die Einstellung der Exekutionen seitens der Behörden verkündet wurde. 694<br />

Dieser Augenblickserfolg konnte den tragischen Selbstmord des 55-jährigen Tischlermeisters<br />

<strong>und</strong> Gastwirtes Ernst U. aus Leoben, dessen Betrieb unter den Hammer<br />

kommen sollte, dennoch nicht verhindern. 695 Das Obersteirerblatt fasst die Stimmung<br />

der dunklen Tage des März 1933 so zusammen:<br />

693 Schwere Ausschreitungen in Donawitz anlässlich einer Delogierung. In: Obersteirische Volkszeitung<br />

(25.6.1932) S. 1.<br />

694 Steuerdemonstration in Leoben. In: Reichspost (17.11.1931) S. 2, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/<br />

anno?apm=0&aid=rpt&datum=19311117&seite=2&zoom=2, 18.12.2009; StLA ZGS (BKA) K.78/5<br />

(Telephondepesche der LAD am 16.10.1931 um 13.30 Uhr).<br />

695 Selbstmord während der Pfändung. In: Obersteirerblatt (16.4.1932) S. 8.

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