Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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gegen das Uniformverbot. Die Teilnehmer zogen in kurzen Hosen, weißen Hemden<br />
mit schwarzen Krawatten <strong>und</strong> Hakenkreuzabzeichen durch die Straßen auf den<br />
Hauptplatz, sangen Spottlieder <strong>und</strong> skandierten Sprüche wie: „Österreich erwache!“,<br />
„Trotz Verbot nicht tot“, „Dollfuss er wachse!“ <strong>und</strong> „Heil Hitler!“. 572 Anlässlich der<br />
vorübergehenden Verhaftung nationalsozialistischer Führer, auch Karl Cerha wurde<br />
aus dem Bett geholt <strong>und</strong> in das Kreisgericht eingeliefert, <strong>und</strong> der Durchsuchung der<br />
Parteiheime am 13. Juni 1933 kam es in Leoben zu wiederholten Demonstrationen<br />
von Sympathisanten. Am Abend entstand ein Wirbel am Bahnhofvorplatz, als verhaftete<br />
Nationalsozialisten aus dem ganzen Kreisgerichtssprengel Leoben per Bahn<br />
ankamen. Aus Protest schrien die etwa 250 Versammelten Parolen wie „Heil Hitler!“,<br />
„Deutschland erwache!“, „Österreich erwache!“ <strong>und</strong> „Dollfuß verrecke!“ <strong>und</strong><br />
sangen lauthals das „Horst-Wessel-Lied“. Zur gleichen Zeit versammelten sich an<br />
die 700 Anhänger auf dem Leobener Hauptplatz, die schließlich durch einen Bajonettangriff<br />
der Gendarmerie vertrieben werden mussten. 573 Nationalsozialistische<br />
Studenten versuchten mehrmals, eine Hakenkreuzflagge vor der Montanuniversität<br />
zu hissen, was der Rektor noch verhindern konnte. In jenen Tagen vor dem Verbot<br />
der NSDAP hatte die Gendarmerie im ganzen Bezirk alle Hände voll zu tun. Fernsprechleitungen<br />
wurden abgezwickt, Erdkabel gesprengt, Häuser, Zäune <strong>und</strong> Straßen<br />
mit „regierungsfeindlichen“ Parolen beschmiert <strong>und</strong> beklebt. In Mautern, wo die<br />
Nationalsozialisten als radikal galten, hagelte es gegen 100 Anzeigen wegen Beleidigung<br />
von Regierungsmitgliedern, Störung der öffentlichen Ordnung, Übertretung<br />
des Aufmarschverbotes <strong>und</strong> anderer Gesetze. Nach dem Verbot ihrer Partei am 19.<br />
Juni 1933 nahmen die Nationalsozialisten an den Feierlichkeiten legaler nationaler<br />
Vereine, wie den deutsch-völkischen Turnvereinen <strong>und</strong> dem deutschen Schulverein<br />
„Südmark“ teil, wo sie ihre Werbetätigkeit fortsetzten. In Mautern wurde der<br />
Deutsche Turnverein wegen „derartiger Umtriebe“ bald darauf, am 22. Juli 1933,<br />
verboten. 574 Bei Leoben, Mautern <strong>und</strong> Vordernberg versuchten Nationalsozialisten<br />
Hakenkreuzfeuer abzubrennen, was von der Gendarmerie verhindert werden konnte.<br />
Die Institution Kirche geriet ebenfalls in die Schusslinie der Nazis: Das katholische<br />
Vereinsheim Eisenerz wurde mehrmals Ziel mutwilliger Zerstörung; in Göss wurde<br />
die Stiftskirche mit Plakaten beklebt <strong>und</strong> der Kaplan von Trofaiach von aufgebrachten<br />
Nationalsozialisten misshandelt. 575 In seiner Apologie wertet Freudenthaler die<br />
Sprengstoffanschläge, die sich nach dem Verbot der NSDAP häuften, als „Ausbruch<br />
der Verzweiflung“ im Angesicht der <strong>Gewalt</strong>herrschaft des „Systems“. Offiziell wegen<br />
Hörermangels, doch eher um das „nationale Leoben“ empfindlich zu treffen, sollte<br />
die montanistische Hochschule sogar geschlossen werden. Im „Blutjahr“ 1934 habe<br />
die Bewegung trotz heldenhaften Widerstandes den Kampf gegen die Übermacht<br />
der Regierung verloren, doch lebte sie, so Freudenthaler, in den Herzen der Menschen<br />
weiter:<br />
572 StLA L.Reg. Gr.384: U 8/4 (1933).<br />
573 StLA ZGS (BKA) K.81/8 (Fol.76–77): GPK Leoben an BKA 14.6.1933; Mit dem „Horst-Wessel-<br />
Lied“ ins Gefängnis. In: Der Kampf (17.6.1933) S. 5.<br />
574 StLA ZGS (BKA) K.81/8 (Fol.409–412; 423): LGK an BKA 14.8.1933.<br />
575 StLA ZGS (BKA) K.81/8 (Fol.306–308).