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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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<strong>und</strong> vehement propagiert. Die gemäßigte breitere Fraktion suchte die privilegierte<br />

Stellung der Deutschen in Österreich, den „deutschen Besitzstand“, gegen die Slawen<br />

zu verteidigen. 46 In der formalen Gleichstellung der verschiedenen Nationalitäten<br />

Cisleithaniens in den Staatsgr<strong>und</strong>gesetzen von 1867 steckte die Keimzelle des Konflikts<br />

um die Behauptung der bisher innegehabten Hegemonie der Deutschösterreicher.<br />

Je mehr die Vertreter der übrigen Nationalitäten auf die Schaffung konkreter<br />

Durchführungsbestimmungen pochten, um ihr verbrieftes Recht auf sprachliche<br />

Gleichstellung in Amt <strong>und</strong> Schule zu realisieren, desto hartnäckiger fiel die Abwehrreaktion<br />

der Vertreter der deutschen Minderheit in der österreichischen Reichshälfte<br />

aus. Die 1897 erlassenen Sprachenverordnungen des Ministerpräsidenten Badeni<br />

lösten einen vorläufigen Höhepunkt der Empörung aus. Mit der Politisierung des<br />

ethnischen Konfliktes ging das liberale Element dieses Lagers weitgehend verloren;<br />

der scharfe Antisemitismus stieß gegen die Ideen der Aufklärung. Schönerers radikale<br />

„Los von Rom“ – Bewegung richtete sich gr<strong>und</strong>sätzlich gegen die Verquickung<br />

vom Kaiserthron/Staat <strong>und</strong> der „Fremdherrschaft“ Roms, dahinter steckte freilich<br />

der Wunsch, den habsburgischen Staat zu zertrümmern. Immerhin konnte Schönerer<br />

bei einem Großteil der Studentenschaft punkten, die für den intellektuellen<br />

Nachschub in diesem Lager sorgte. Betrachtet man das Spannungsfeld Zentrum-<br />

Peripherie, so ergibt sich folgendes vereinfachtes Bild: In Wien wurden die Deutschnationalen<br />

großteils von den Christlichsozialen aufgesaugt, in der Provinz hingegen<br />

stand das deutschnational überformte Bildungsbürgertum den katholischen christlichsozialen<br />

Bauern gegenüber. 47 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich<br />

die ideologische Entwicklung dieses Lagers vom Liberalismus zum Nationalismus<br />

in den 1880er Jahren vollzog, dass sich das Lager in seinen vielen Gruppierungen<br />

jedoch erst spät zu einer Partei vereinte. Am 7. <strong>und</strong> 8. August 1920 schlossen sich<br />

insgesamt 17 verschiedene Parteien <strong>und</strong> Gruppen zur Gründung der „Großdeutschen<br />

Volkspartei“ (GDV) zusammen. Die neue Partei stellte sich bei den kurz darauf folgenden<br />

Nationalratswahlen im Oktober 1920 den Wählern <strong>und</strong> errang auf Anhieb<br />

mit r<strong>und</strong> 16 Prozent Stimmenanteil einen Achtungserfolg. Zum „nationalen Lager“<br />

zählte auch der aus der „Deutschen Agrarpartei“ hervorgegangene Landb<strong>und</strong>, der<br />

sich erstmals im Herbst 1923 als gesamtösterreichische Partei den Wahlen stellte,<br />

jedoch erst 1927 als Koalitionspartner in die Regierung Seipel eintrat. Das Dilemma,<br />

in dem sich die Großdeutsche Volkspartei fortan befand, kann man als ein Lavieren<br />

zwischen dem prinzipiellen Festhalten am Anschlussgedanken <strong>und</strong> dem „Verrat“<br />

desselben während ihrer Regierungsbeteiligung bezeichnen. In den frühen 1930er<br />

Jahren gerieten die Großdeutschen zunehmend unter Druck von rechts: Es gelang<br />

den Nationalsozialisten, einen Großteil deren Anhängerschaft, vor allem die Jüngeren,<br />

für sich zu gewinnen, was bei den Landtags- <strong>und</strong> Gemeindewahlen im April<br />

1932 deutlich sichtbar wurde. 48<br />

46 Berchtold, Parteiprogramme, S. 70–74.<br />

47 Hanisch, Schatten, S. 121–122.<br />

48 Adam Wandruszka, Das „nationale Lager“. In: Weinzierl/Skalnik, Erste Republik Bd.1, S. 293–<br />

295; Günther R. Burkert, Der Landb<strong>und</strong> für Österreich. In: Emmerich Tálos, Herbert Dachs<br />

u.a. (Hrsg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933 (Wien<br />

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