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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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über den Kleinstaat, die als ungerechtfertigt hart empf<strong>und</strong>en wurden. 3 Trotz des<br />

Verbotes blieb die Anschlussidee jedoch am Leben. Bald wurden Stimmen aus den<br />

B<strong>und</strong>esländern laut, die mitunter auch aus ökonomischen Erwägungen nach einer<br />

Vereinigung mit Deutschland riefen, oder überhaupt hofften, dieser „unmögliche“<br />

Staat werde sich „mit Gestank auflösen“. 4 Ernst Bruckmüller führt die mangelhafte<br />

Identifikation mit dem neuen Staat auf die gesellschaftlichen Strukturen der Monarchie<br />

zurück, auf deren Verknüpfung von Hierarchien <strong>und</strong> Privilegien. Durch die<br />

kriegsbedingte Inflation <strong>und</strong> den Zerfall der Monarchie wurden die ehemaligen<br />

Nutznießer der Monarchie wie die Bürokraten, Bankbeamten <strong>und</strong> bürgerlichen<br />

Unternehmer, aber auch der Offiziersstand nicht nur finanziell, sondern auch in<br />

ihrem Ansehen schwer geschädigt. 5<br />

Ein weiteres Problem stellte auch das Fehlen einer staatstragenden verbindenden<br />

Symbolik wie etwa Wappen <strong>und</strong> Hymne dar, <strong>und</strong> es ist bezeichnend, dass sich die<br />

Verantwortlichen erst 1929 auf den Kernstock-Text „Sei gesegnet ohne Ende“ zur<br />

Melodie Haydns einigen konnten. Neben der offiziellen Hymne, die als kaiserliche<br />

Hymne bei vielen Menschen in lebhafter Erinnerung geblieben war, standen das in<br />

deutschnationalen Kreisen beliebte Lied „Die Wacht am Rhein“ sowie das „Deutschlandlied“<br />

hoch im Kurs. Auch der im April 1919 zum offiziellen Staatsfeiertag erklärte<br />

12. November erlangte kaum eine staatstragende <strong>und</strong> integrale Funktion. Während<br />

der Tag der Republik von der Sozialdemokratie demonstrativ gefeiert wurde, ignorierten<br />

ihn die katholisch-konservativ Gesinnten, welche dem kaiserlichen Großreich<br />

nachtrauerten, schlichtweg. Weitaus mehr Menschen orientierten sich lieber an ihre<br />

eigenen „Lagerkultur“ <strong>und</strong> deren Festfolge, seien es die Mai- <strong>und</strong> Republikfeiern<br />

der Sozialdemokratie, die katholischen Feiertage wie etwa Fronleichnam, oder das<br />

Julfest der deutschnational Gesinnten. Aber auch die Großdeutsche Volkspartei<br />

beging den Tag der Republik feierlich, obzwar aus ganz anderen Gründen als die<br />

Sozialdemokraten, nämlich als „Tag der Anschlusserklärung“. 6 Zusätzlich zum Identifikationsproblem<br />

herrschte ein Mangel an Demokratieverständnis. Die relativ kurze<br />

Phase des Liberalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts hatte für die<br />

Herausbildung eines breiten demokratischen Gr<strong>und</strong>konsenses im Habsburgerstaat<br />

vermutlich nicht ausgereicht. So führte die schrittweise Ausdehnung des Wahlrechts<br />

3 Das Land wurde zudem von einer rasanten Inflationswelle erfasst, die im August 1922 ihren Höhepunkt<br />

erreichte. Eine detaillierte Darstellung bietet Gottlieb Ladner, Seipel als Überwinder der<br />

Staatskrise vom Sommer 1922 (= Publikationen des österreichischen Instituts für Zeitgeschichte 1,<br />

Wien 1964), Kurzzitat: Ladner, Staatskrise.<br />

4 Dr. Richard Steidle, Führer der Tiroler Heimatwehr, in einem Brief an B<strong>und</strong>eskanzler Mayr, 25.<br />

Mai 1921, zitiert aus: Rolf Steininger, Stationen auf dem Weg zum „Anschluss“. In: Rolf Steininger,<br />

Michael Gehler (Hrsg.), Österreich im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert, 2 Bde. (Wien/Köln/Weimar 1997),<br />

Kurzzitat: Steininger/Gehler, Österreich im 20. Jahrh<strong>und</strong>er Bd.1, S. 110.<br />

5 Ernst Bruckmüller, Sozialstruktur <strong>und</strong> Sozialpolitik. In: Erika Weinzierl/Kurt Skalnik<br />

(Hrsg.), Österreich 1918–1938. Geschichte der Ersten Republik, 2 Bde. (Graz/Wien/Köln 1983),<br />

Kurzzitat: Weinzierl/Skalnik, Erste Republik Bd.1, S. 432.<br />

6 Leoben. Großdeutscher Festabend. In: Obersteirerblatt (14.11.1928) S. 8: Leoben. Am Montag, den<br />

12. November, fand im großen Postsaal, der in Farben <strong>und</strong> Blumen prangte, die außerordentlich<br />

gut besuchte Festversammlung der Großdeutschen Volkspartei aus Anlaß der 10. Wiederkehr der<br />

Anschlußerklärung Oesterreichs statt.

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