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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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Die Christlichsozialen hatten ein eher ambivalentes Verhältnis zum neuen<br />

Staat: In ihrem ersten Parteiprogramm bekannten sie sich zwar ausdrücklich zur<br />

Republik, 53 gleichzeitig gab es Politiker in ihren Reihen, die in erster Linie für die<br />

Interessen ihrer Heimatländer, der nunmehrigen B<strong>und</strong>esländer, <strong>und</strong> nicht für den<br />

Kleinstaat, vor allem nicht für das „verhasste“ Wien, eintreten wollten. 54 Sie vertraten<br />

die Idee eines eigenständigen B<strong>und</strong>esstaates, teils weil sie sich dem ehemaligen Herrscherhaus<br />

verb<strong>und</strong>en fühlten, teils weil sie die Übermacht eines „roten“ Deutschlands<br />

<strong>und</strong> den Verlust der Vormachtstellung der römisch-katholischen Kirche befürchteten.<br />

Unter Punkt VI. des Aktionsprogramms der Christlichsozialen Vereinigung<br />

von 1919 wurde jedoch festgelegt, dass „die Verhandlungen über den Zeitpunkt<br />

<strong>und</strong> die Vorbedingungen für die Verwirklichung des Anschlusses Deutschösterreichs<br />

an Deutschland (…) ohne Verzug einzuleiten (sind)“. 55 In seiner Rede vor<br />

dem 1. Parteitag der Christlichsozialen Partei charakterisierte Vizekanzler Jodok<br />

Fink die Regierungskoalition als ein notwendiges Übel, denn die Parteien können<br />

in einer solchen nicht ihre gr<strong>und</strong>sätzliche Politik ausüben, sondern nur verwaschene<br />

Kompromisspolitik. 56<br />

Für die weitere politische Entwicklung in Österreich kann der Bruch der Regierungskoalition<br />

der Sozialdemokraten <strong>und</strong> Christlichsozialen im Juni 1920, die seit<br />

den Wahlen zur konstituierenden Nationalversammlung im Februar 1919 bestanden<br />

hatte, als entscheidender Wendepunkt auf Regierungsebene <strong>und</strong> im Verhältnis der<br />

Parteien zueinander gewertet werden. In der historischen Forschung ist es umstritten,<br />

ob ab diesem Zeitpunkt das spätere Unheil in der politischen Entwicklung <strong>und</strong><br />

im gesellschaftlichen Umfeld gleichsam „vorprogrammiert“ war, denn obwohl sich<br />

die zwei Großparteien in ideologischer Hinsicht frontal gegenüberstanden <strong>und</strong> die<br />

Sozialdemokraten fortan auf der Oppositionsbank blieben, konnten sie sich in einigen<br />

wichtigen staatspolitischen Anliegen, wie der Genfer Sanierung 1922, der Verfassungsreform<br />

1929 oder der Sanierungsgesetzgebung nach dem Zusammenbruch<br />

der Creditanstalt 1931 verständigen <strong>und</strong> Kompromisse schließen. 57 Die Auflösung<br />

lediglich als ein Provisorium, bis eine Klasse die Herrschaft über die andere erkämpft hat. In seiner<br />

Eigenschaft als „Linker“ forderte er seine Partei jedoch zur Besonnenheit auf, mahnte die Massen,<br />

Disziplin <strong>und</strong> Ordnung zu bewahren. Der Parteitag der SDAP fand am 31.10. <strong>und</strong> 1.11.1918 in<br />

Wien statt (Karl R. Stadler, Die Gründung der Republik. In: Weinzierl/Skalnik, Erste Republik<br />

Bd.1, S. 70.).<br />

53 Berchtold, Parteiprogramme, S. 356.<br />

54 Walter Goldinger, Dieter A.Binder, Geschichte der Republik Österreich 1918–1938 (Wien 1992),<br />

Kurzzitat: Goldinger/Binder, Österreich, S. 77.<br />

55 Berchtold, Parteiprogramme, S. 361.<br />

56 Robert Kriechbaumer (Hrsg.), „Dieses Österreich retten…“ Die Protokolle der Parteitage der<br />

christlichsozialen Partei in der Ersten Republik (=Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische<br />

Studien der Dr.- Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg 17, Wien/Köln/Weimar<br />

2006), Kurzzitat: Kriechbaumer, „Dieses Österreich retten…“, S. 86–87.<br />

57 Jacques Hannak, Im Sturm eines Jahrh<strong>und</strong>erts. Volkstümliche Geschichte der Sozialistischen<br />

Partei Österreichs (Wien 1952) S. 115; zitiert bei Berchtold, Parteiprogramme, S33: Hannak sieht<br />

die Zusammensetzung der ersten Koalitionsregierungen folgendermaßen: War also die erste Koalition<br />

eine Regierung Renner-Fink, eine Kooperation der städtischen Arbeiter <strong>und</strong> der demokratischen<br />

Bauern gewesen, so war die zweite Koalitionsregierung eine Regierung Renner-Seipel, ein Antagonismus<br />

zwischen Proletariat <strong>und</strong> dem sich allmählich bahnschaffenden Bürgerblock.<br />

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