Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

Lethargie geführt haben. Laut einer späteren Aussage Marie Jahodas soll sich ein Großteil
der „nicht-radikalisierten“ arbeitslosen Marienthaler gerade in dieser Situation der NSDAP
zugewandt haben. 927
In seiner grundlegenden Analyse zum Scheitern der Demokratie in der Ersten Republik
zählt Ernst Hanisch eine Reihe von gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen
Missständen auf, die zu einer Schwächung des staatlichen Gewaltmonopols und zu einer
Verlagerung der Macht auf zwischenstaatliche politische Institutionen wie Parteien und
bewaffnete Verbände geführt haben. 928 Es ist meines Erachtens vor allem die Schwäche des
Staates und die ihm anfänglich fehlende Zustimmung, die das Aufkommen des radikalen
politischen Aktionismus in Österreich gefördert haben. Dieser wiederum gedieh besonders
gut auf dem Boden der in politische Lager geteilten Gesellschaft, die in der obersteirischen
Industrieregion in konzentrierter Form aufeinanderprallten. Obwohl es auf verschiedenen
Ebenen da und dort zu vernünftigen politischen Kooperationen kam, triumphierte
in letzter Konsequenz doch der Machtkampf um politisches Sein oder Nichtsein über den
Willen, einen tragbaren Kompromiss zu finden. Darin liegt die Tragik der Ersten Republik
begründet.
927 Ö1, Ausstrahlung v. 2. 8. 2007, 21.01 Uhr („Im Gespräch“) „Heimat bist du großer Töchter“. Marie Jahoda
im Gespräch mit Doris Stoisser am 22.2.1996: http://oe1.orf.at/highlights/40470.html, 8.2.2010. Auf die
Frage der relativ geringen Begeisterung für Hitler gerade im Arbeitslosenmilieu gab Frau Jahoda folgende
Antwort: Wissen Sie, ich bin vor zehn oder fünfzehn Jahren nach Marienthal wieder zurückgegangen und
habe mit Leuten dort lange Gespräche geführt. Marienthal war ursprünglich eine sozialdemokratische Gemeinde,
aber die haben mir erzählt, wie der Hitler mit Suppenküchen und Arbeitsversprechungen gekommen
ist, die ganze Bevölkerung sich umgedreht hat und für den Nationalsozialismus war. Und nicht radikalisiert
aber Demagogen verfallen. Sicher ein Problem für Menschen, die durch lange Entbehrung und Hoffnungslosigkeit
zermürbt sind.
928 Hanisch, Schatten, S. 285–300.
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