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Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt

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hatte aber einen Haken: Je wütender der Antiklerikalismus der Sozialdemokratie<br />

wurde, desto weniger konnte sie die Stimmen der noch religiös-geb<strong>und</strong>enen Schichten,<br />

besonders der ländlichen Bevölkerung, für sich gewinnen. Die christlichsoziale<br />

Partei, die nach dem Zusammenbruch der Allianz von Kirche <strong>und</strong> Thron als politischer<br />

Arm der römisch-katholischen Kirche fungierte, vertrat die Überzeugung,<br />

dass nur die Gr<strong>und</strong>sätze des Christentums förderlich <strong>und</strong> harmonisierend auf das<br />

gesellschaftliche <strong>und</strong> staatliche Leben wirken könnten. Hauptangriffspunkt der<br />

Sozialdemokratie war das Beharren der Kirche auf dem Recht, auf die schulische<br />

Erziehung der Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen maßgeblichen Einfluss zu nehmen, sowie<br />

auf einem Beibehalten des kirchlichen Eherechtes. In ihrem politischen Programm<br />

von 1926 bekannte sich die Sozialdemokratie zur Religion als Privatsache <strong>und</strong> stellte<br />

sich gegen den „Klerikalismus, der die Religion zur Parteisache macht“. Sie forderte<br />

die gr<strong>und</strong>sätzliche Trennung von Staat <strong>und</strong> Kirche, eine Regelung des rechtlichen<br />

Verhältnisses zwischen Staat <strong>und</strong> Kirche also, welche die religiösen Gemeinschaften<br />

als Körperschaften privaten Rechts definiert <strong>und</strong> nicht zulässt, dass „der Staat die<br />

Staatsbürger zu wirtschaftlichen Leistungen an die Kirche, zur Teilnahme am kirchlichen<br />

Religionsunterricht <strong>und</strong> Kulthandlungen zwingt“. 41 In ihrem Buhlen um die<br />

Stimmen der ländlichen Bevölkerung betrat die Sozialdemokratie auch das Konfliktfeld<br />

Stadt-Land. Die von ihr ausgehende Propaganda versuchte unter anderem einen<br />

Keil zwischen den „Herrenbauern“ <strong>und</strong> den „Arbeitsbauern“ zu treiben. Der von den<br />

Sozialdemokraten geführte „Kampf um das Dorf“ entpuppte sich als Kampf um das<br />

Gesinde der alpinen <strong>und</strong> voralpinen Regionen, sowie um jene Lohnarbeiter in der<br />

Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft, die weder in einer engen hauswirtschaftlichen Bindung<br />

noch unter der Sozialkontrolle eines bäuerlichen Hausvaters standen. Aber auch das<br />

kommunistische „Reichsaktionskomitee der werktätigen Bauern“ versuchte ganz<br />

gezielt, allerdings mit geringerem Erfolg, unter der Parole „Für Boden <strong>und</strong> Freiheit“<br />

unzufriedene Kleinbauern <strong>und</strong> Kleinpächter anzusprechen. 42<br />

1.5.3 Das christlichsoziale-konservative Lager<br />

Die komplexe Entwicklung der christlichsozialen Partei soll hier als Beispiel einer<br />

sozialreformerischen, klassenübergreifenden Bewegung vereinfacht dargestellt<br />

werden. In der Frühphase formierte sich die Partei zunächst auf dem Konfliktfeld<br />

Gewerbe-Industrie sowie auf dem Feld der ethnischen Spaltung, des „integralen Rassenantisemitismus“,<br />

bildete sich etwas später über den Konflikt zwischen politischem<br />

Katholizismus <strong>und</strong> Antiklerikalismus um, bis sie ab der Mitte der 1890er Jahre unter<br />

dem Druck der Klassenbildung der Arbeiterschaft einen weiteren Entwicklungsschub<br />

entlang der Konfliktlinie Besitz-Arbeit machte. Mit der 1892 erfolgten Gründung des<br />

„Christlichsozialen Arbeitervereines für Niederösterreich“, auch eine Folge der Ende<br />

41 Klaus Berchtold (Hrsg.), Österreichische Parteiprogramme 1868–1966 (München 1967), Kurzzitat:<br />

Berchtold, Parteiprogramme, S. 259.<br />

42 StLA BH Leoben Gr.14: K.58 (1932): Heft „Aktionskomitee der Werktätigen Bauern Österreichs“.<br />

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