Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
Marina Brandtner Diskursverweigerung und Gewalt
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durch stillschweigende Duldung oder unzureichende Gegenmaßnahmen des<br />
Staates nicht nur positiv bestätigt wird, sondern gleichzeitig eine Aufforderung<br />
darstellt, mit der <strong>Gewalt</strong> weiterzumachen. Nichts, heißt es, stärkt das Verhalten<br />
mehr als der Erfolg. 23<br />
• Der Wiener Historiker, Gerhard Botz, dessen 1976 erschienene Publikation<br />
über <strong>Gewalt</strong> in der Politik nach mehr als 30 Jahren eine für Österreich immer<br />
noch gr<strong>und</strong>legende Arbeit darstellt, umreißt einige zentrale Definitionen der<br />
politischen <strong>Gewalt</strong>anwendung in der Ersten Republik. Es sind Handlungen, die<br />
sowohl von einzelnen Menschen oder (organisierten) Gruppen gegen Träger der<br />
politischen Macht als auch von der „Staatsgewalt“ gegen oppositionelle Gruppen<br />
gesetzt werden können, <strong>und</strong> in der Anwendung von körperlicher <strong>Gewalt</strong> oder<br />
deren Androhung bestehen. Dazu gehören ebenso gewaltsame Auseinandersetzungen<br />
der gesellschaftlich-politischen Gruppen (Parteien, Wehrverbände<br />
usw.) miteinander im Kampf um die „Macht im Staate“. Für die obersteirische<br />
Industrieregion relevant ist auch jene Form der <strong>Gewalt</strong>, die von dem damals<br />
größten österreichischen Industriekonzern, der Österreichischen Alpine Montan<br />
Gesellschaft, zur Durchsetzung von politischen <strong>und</strong> unternehmerischen Zielen<br />
angewendet wurde. Dies geschah in der Form einer Zwangspolitisierung<br />
der Arbeiterschaft durch die freilich nicht explizit ausgesprochene Drohung der<br />
Entlassung <strong>und</strong> des in vielen Fällen damit verb<strong>und</strong>enen Verlustes der Werkswohnung.<br />
In seiner Präzisierung unterscheidet Botz zwischen kollektiver <strong>und</strong><br />
individueller <strong>Gewalt</strong>. Die folgenden Formen kommen für die vorliegende Untersuchung<br />
in Betracht:<br />
1) Putsche <strong>und</strong> putschartige Versuche einer organisierten oppositionellen Minderheit<br />
durch Aktionen, die mehr oder weniger nach einem strategischen Plan<br />
ablaufen, klar definierte Ziele zu erreichen, das heißt die lokale <strong>und</strong> zentrale<br />
Regierungsmacht zu übernehmen;<br />
2) spontan entstehende <strong>und</strong> ohne klares politisches Ziel ablaufende, jedoch örtlich<br />
begrenzte Unruhen, die zur Konfrontation einer großen, nicht oder kaum<br />
organisierten Menschenmenge mit dem Staatsapparat führen;<br />
3) individuelle politische <strong>Gewalt</strong>taten, die Botz in die Kategorien „Attentat“,<br />
„Fememord“ <strong>und</strong> „Überfall“ unterteilt. 24<br />
• In seinem Aufsatz über Totalitarismus macht der deutsche Politikwissenschafter<br />
Hans Maier auf eine weitere Form der politischen <strong>Gewalt</strong> aufmerksam, die in<br />
totalitären Systemen als Machtinstrumentarium zur Einschüchterung der Massen<br />
eingesetzt wird. In einigen Ländern Europas der 1920er <strong>und</strong> 1930er Jahre<br />
23 Weitere Texte zum Thema „<strong>Gewalt</strong> <strong>und</strong> Aggression“: Eine empfehlenswerte Übersicht wichtiger<br />
Aggressionstheorien sowie eine Darstellung von Galtungs Ansatz bietet: Astrid Höfelmeyer,<br />
Gerd Küster, Aggression <strong>und</strong> <strong>Gewalt</strong>. Eine Einführung in Theorien der Natur- <strong>und</strong> Gesellschaftswissenschaften<br />
(Frankfurt am Main 1976); Richard B. Felson, James T. Tedeschi (Hrsg.), Aggression<br />
and Violence. Social Interactionist Perspectives (Washington DC 1993); eine aktuellere<br />
Einführung zu „<strong>Gewalt</strong>“ bei: Joachim Küchenhoff, Anton Hügli, Ueli Mäder (Hrsg.), <strong>Gewalt</strong>,<br />
Ursachen, Formen, Prävention (=Psyche <strong>und</strong> Gesellschaft, Gießen 2005).<br />
24 Botz, <strong>Gewalt</strong>, S. 13–21.<br />
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