Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Vogelfreiheit - Stephan Packard<br />
Vogelfreiheit<br />
Stephan Packard<br />
I.<br />
Mit dem Herbst kamen die Krähen.<br />
Sie kreisten unter dem eisblauen Himmel der frühen Morgenstunden, setzten sich zwischen<br />
den ersten gelb gewordenen Blättern in die starren Baumkronen und schrien ihr lautes Krächzen in<br />
eine Welt hinaus, die sich nach den Regenstürmen im Oberring auf die nun folgende kalte Jahreszeit<br />
vorbereitete.<br />
Einer der schwarzen Vögel hatte sich vor einem Fenster festgekrallt, schüttelte sich ein paar Mal<br />
und plusterte sich auf. Das Fenster war nicht verglast, sondern vergittert. Teures Glas konnte sich<br />
der Besitzer nicht leisten; das Gitter war in der Unterstadt von <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> eine<br />
überlebenswichtige Selbstverständlichkeit.<br />
Drinnen befand sich ein kleiner aber stabiler Schreibtisch, auf dem sich eine Feder rasch über ein<br />
unebenes Stück Pergament bewegte. Sie zeichnete die Worte auf, die der Besucher ihr diktierte.<br />
„...und die Ernte ist diesmal nicht gut. Nun kommen letzten Monat einige hohe Herren und fragen<br />
nach mir. Und sie sagen, ich muß noch mal mehr zahlen als letztes Jahr. In Pro-Zehn.“<br />
Die schreibende Hand war in der Kälte blau angelaufen und zitterte ein wenig. Am Ringfinger<br />
spiegelte sich ab und zu der Kerzenschein in einem schmalen, plumpen Ring aus Blei. Man wurde<br />
nicht reich als Schreiber.<br />
„Ihr meint gewiß Prozent?“ Die Frage klang höflich, unbeteiligt.<br />
„Irgendsowas.“<br />
„In Ordnung.“ Die Feder vollendete den Satz und setzte einen<br />
Punkt. Der Ring blitzte kurz. Dann wartete die Hand geduldig auf die nächsten Worte.<br />
„Und wir sind sowieso arm. Und haben kein Geld. Und der Boden hier ist nicht sehr gut. Also habe<br />
ich gesagt, wir können nicht noch mehr zahlen. Und die hohen Herren sagen, ich muß.“<br />
Die Feder kratzte, die Worte erschienen. Der Schreiber versuchte nicht, ihnen eine<br />
ansprechendere Form zu geben, noch gab er dem Bauern einen Rat. Er schrieb nur.<br />
„Wir leben gerne in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>, aber wir können Euch Hohen Herren nichts zahlen, das wir<br />
nicht haben. Seit unser Sohn Jekal in die Stadt hineingezogen ist, haben wir viele Probleme auf dem<br />
Hof.“<br />
Der Bauer wartete kurz. Dann fragte er leise:<br />
„Meint Ihr, man kann das so schreiben?“<br />
Der Schreiber zuckte mit den Schultern.<br />
„Gut.“ sagte der Bauer. „Hm... Und ich hoffe, daß Ihr mir das laßt, was ich brauche. Äh. Darum<br />
schreibe ich. Vielen Dank, Bauer Gunther.“<br />
Die Feder schrieb, der Ring blinkte.<br />
„Ist das dann alles?“<br />
„Äh. Ich denke schon, ja.“<br />
Die Hand legte die Feder flach auf die Tischplatte. Dann stützte sie sich ab, und der Schreiber<br />
erhob sich. Er war keine besonders große Person. Seine weite schwarze Kutte raschelte, als sie auf<br />
den Boden fiel. Sie warf weite Bögen um die knochigen Glieder des Alten.<br />
Der Bauer war sich seiner Sache nicht sicher.<br />
„Der Brief soll zu den Hohen Herren im Triumvirat. Äh. Meint Ihr, die werden mir helfen?“<br />
„Ich weiß es nicht.“ Seine Stimme war ruhig.<br />
„Aber sie müssen mir doch helfen! Sie können mich doch nicht verhungern lassen, oder?“<br />
„Ich weiß nicht.“ Die Stimme zeigte kein Interesse.<br />
„Aber sie werden den Brief doch wenigstens lesen, nicht wahr?“<br />
„Das weiß ich nicht. Das macht 12 Eisensonnen.“<br />
Der Bauer zuckte zusammen, aber er zahlte. Und ging. Nachdem sich die Türe geschlossen hatte,<br />
seufzte Manyr kurz und rückte seine Brille zurecht. Dann zog er die Schublade an seinem Tisch aus.<br />
Drinnen lag, direkt unter dem unreinen Pergament, das er gerade gefüllt hatte, ein sauberer Stapel<br />
besten Panlîlpapiers. Daneben lag eine Feder mit golden schimmerndem Schaft. Der alte Mann zog<br />
den Ring von seinem Finger und strich damit einige Male über die leere Seite.<br />
Die Feder zitterte kurz, dann richtete sie sich langsam auf. Sie schwebte knapp über dem Holz<br />
hinüber zum Papier und setzte an: