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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Der Andere - Stephan Packard<br />

Die Feder kratzte über das rauhe Blatt, der Tisch wackelte. Die Buchstaben wurden übergroß und<br />

krakelig.<br />

„- Anfang Talu ereignete sich ein Phänomen durchaus magischer Art,“ schrieb er auf Pirman, „das<br />

von einer jungen Bewohnerin des Rattenlochs ausging und in einer aufgegebenen Erzförderstätte im<br />

Nordwesten des Staates sein vorläufiges Ende fand.<br />

Die junge, weibliche Person war im Besitz einiger nichtnontariellscher Artefakte (vgl. Akte<br />

345997/b6/Lyr/17). Es handelte sich um zwei alte und unscheinbare Ringe, zwei von fünf der von<br />

Isagard in Gesang III17a3-19 beschriebenen Schlüssel zum Öffnen eines Tores in die dunkle<br />

Halbwelt.<br />

Ein Magier dunkler Kunst, der sich später als abtrünniger Perger zeigen sollte, acquirierte eines<br />

der beiden Stücke - und ja, ich weiß ganz genau, daß du hinter mir stehst. Warum kommst du nicht<br />

vor?<br />

Ich weiß, daß du da bist. Ich weiß: Einer der Geister der Nacht steht hinter mir, eine dunkle Seele<br />

wartet auf mich. Wieso bist du hier? Ich habe dich nicht beschworen. Hat dich mein- mein früherer<br />

Freund hergeschickt, feig in seiner Höhle sitzend?<br />

Ich werde - ich weiß nicht, was ich tun werde. Aber daß du da bist, ist mir wohl bewußt. Du wirst<br />

mich nicht erschrecken.<br />

Ich kann sogar den Schatten sehen, der auf das Blatt fällt, weil du dich hinter mir vornüberbeugst,<br />

um zu lesen, was ich schreibe. Zeig’ dich mir doch. Ich werde ohnehin nicht erschrecken.“<br />

Sein Stuhl fiel um, als er ruckartig aufstand und herumwirbelte. Hinter ihm war nichts. Er<br />

keuchte.<br />

���<br />

Viele Kerzen, viele Lichter.<br />

Im ganzen Keller hatte er sie verstreut: Sie standen auf dem<br />

Schreibtisch, den freien Flecken in den Bücherregalen, auf dem Boden. Zwischen dicken Folianten<br />

und dünnwandigen Phiolen, unter Brocken seltener Metalle und großen bauchigen Gläsern bunten<br />

Inhalts.<br />

Der Raum war ein Meer von kleinen, hellen Kreisen, tanzenden Flämmchen, einzelnen Lichtern.<br />

Und eine der Kerzen fiel um.<br />

���<br />

Der Rauch hing noch immer in der Luft, beizte.<br />

Manyr lehnte, schwer atmend, gegen die Tür zur Treppe. Seine<br />

rechte Hand krallte sich noch immer in den Eimer, den er schnell von oben geholt hatte. Ein winzig<br />

kleiner verkohlter Halbrund im hölzernen Boden war das einzige, was von dem vermeintlichen<br />

Großbrand blieb.<br />

Der Schreiber rang um Luft. Er war in heller Panik die Treppe hinaufgerannt, war gestolpert: Sein<br />

Knie blutete, wie eine Schramme vom Spiel kleiner Jungen. Das Wasser geholt, in einem weiten<br />

Bogen durch die Luft geschleudert, es hatte geschwappt und geplatscht, tropfte weiterhin von den<br />

Brettern und Büchern an der gegenüberliegenden Wand.<br />

Eine Kurzschlußreaktion; ein Augenblick Panik. Er mußte sich unter Kontrolle halten. Es war<br />

Nacht; einfach Nacht; wie lange konnte es noch dauern, bis die Sonne aufging? Eine Stunde?<br />

Vielleicht zwei? Er war kein kleiner Junge mehr, die Angst vor den nichtvorhandenen Monstern im<br />

Dunkeln hatte er längst überwunden.<br />

Schritte auf der Treppe: Er schlug die Tür zu.<br />

���<br />

Neben der Tür hing im Keller von Manyrs Haus ein großer Spiegel an der Wand, eine kostbare<br />

Seltenheit in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>: Das Glas war fast völlig glatt und glänzte an einigen Stellen hell wie<br />

Silber. Nur ein geringer Teil der Oberfläche war vollkommen milchigweiß und undurchsichtig.

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