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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Die Erinnerung der „Nacht“ - Christel Scheja<br />

Die Erinnerungen der „Nacht“<br />

Christel Scheja<br />

Prolog<br />

„Du willst keinen Wunschteppich kaufen, mein Kind, das weiß ich“, sagte Mutter Camilla und blickte<br />

auf eine schlanke junge Frau, sie sich unter einem schwingenden, türkisfarbenen Mantel und einer<br />

weit fallenden Kapuze verbarg. Sie legte eine ihrer runzligen, von Altersflecken übersäten Hände auf<br />

die weißen Finger, die noch immer auf dem Knüpfwerk ruhten. „Denn du brauchst sie ja nicht.“<br />

„Woher wißt ihr das?“<br />

„Ich weiß vieles, denn ich bin alt, und habe viel gesehen und erlebt, junges Ding“, brummelte die<br />

Alte. Ihre goldenen Augen musterten die Gestalt vor ihr, die sich noch immer leicht vorgebeugt hatte.<br />

„Komm und habe keine Angst. Ich möchte dein Gesicht sehen.“<br />

„Das ist doch bestimmt nicht nötig.“ Die Fremde zog ihre Hand zurück und ließ sie wieder unter dem<br />

Mantel verschwinden. Die Bronzesonne blieb auf dem Stoff liegen und blitzte im matten Sonnenlicht.<br />

Mutter Camilla legte den Kopf schlief und lächelte wissend. „Hmh, um dir einen Rat zu geben, mein<br />

Kind, muß ich in deine Augen sehen. Und du willst doch Wissen von mir, nicht wahr.“<br />

Die Gestalt vor ihr zögerte einen Moment und streifte dann die Kapuze langsam zurück. Die alte<br />

Nushq'qai ließ ihren Blick über sie schweifen. Die Haare waren von einem hellen Rot, durchzogen<br />

von goldenen Strähnen, die ihn feine Zöpfe geflochten, die Mähne wie in einem Netz hielten. Sie<br />

umgaben ein schmales dreieckiges Gesicht mit großen blaugrünen Augen, über denen ein<br />

Silberschimmer lag.<br />

„Ich bin Leuten deines Volkes schon einmal begegnet“, sagte Mutter Camilla langsam. „Ihr sitzt gerne<br />

an unseren Feuern und lernt von uns, aber eure Fähigkeiten und Meisterschaft liegt auf anderen<br />

Gebieten.“ Die alten Frau ächzte und stützte sich auf ihren Stock. Sie schmunzelte leise vor sich hin,<br />

denn sie hatte das „Füchslein“ schon erkannt, das so offensichtlich in seinen Bau zurückkehrte. In den<br />

Augen jedoch stand etwas anderes. Zorn und Wut, Haß ... aber auch Angst, Traurigkeit und<br />

Verzweiflung. Mutter Camilla nickte. „Du kannst deine Fragen nur beantwortet bekommen, wenn du<br />

zu der gehst, zu der dich dein Weg ohnehin führen wird“, sagte sie leise. „Daran ist nichts zu ändern,<br />

und mehr kann ich auch nicht für dich tun.“<br />

Die junge Frau streifte wieder die Kapuze über und eilte davon, so als wollte sie kein weiteres Wort<br />

mehr hören.<br />

Mutter Camilla schaute ihr noch eine Weile nach. „Nur so bezahlst du deine Schuld...“ murmelte sie,<br />

ehe sie von ihrer Tochter abgelenkt wurde, die eine Frage an sie stellte.<br />

���<br />

Feingliedrige Hände bargen das zitternde und jämmerlich schreiende Federbündel und hielten den<br />

Vogel wie in einem Käfig gefangen. Stolz blickte das achtjährige Mädchen auf seinen Besitz, der ihr<br />

kostbarer erschien als Geld oder Schmuck. Ein gieriger Triumph leuchtete in den Augen, die die<br />

Farbe und den Glanz geschliffener Smaragde zu besitzen schienen - Freude darüber, ein Leben in den<br />

Händen zu halten und darüber bestimmen zu können.<br />

„Rhysian! Sieh doch, wie er sich ängstigt! Laß ihn frei!“ sagte eine Stimme aus dem Hintergrund, und<br />

eine weißhaarige Frau trat auf die Dachterrasse.<br />

„Nein Mutter! Ich mache mit ihm, was ich will, denn ich habe ihn selbst gefangen!“ Das Mädchen<br />

schloß ihre Finger noch fester um das Tier und spürte mit glänzenden Augen, wie er zappelte.<br />

„Rhysian, das ist ein Leben wie deines!“ sagte Ailanth leise aber bestimmt. „Und wenn du ihm weh<br />

tust, wird das dreifach auf dich zurückfallen!“<br />

Ein Zögern, dann eine wütende Geste. Das Mädchen öffnete trotzig die Hände. Der Vogel breitete<br />

seine arg zerfledderten Schwingen aus und schwirrte davon, erst taumelnd, dann immer sicherer<br />

werdend, und verschwand im Blattwerk der Bäume.<br />

„Bist du jetzt zufrieden?“ Lohfarbenes Haar umgab das kindliche Gesicht mit den auffallend<br />

schmalen blaugoldenen Augen, floß die schmalen Schultern hinab bis auf die Mitte des Rückens.<br />

Ailanth blickte beiseite. „Ja, das hast du gut gemacht!“ lobte sie das Mädchen schwach, auch wenn sie<br />

wußte, daß sie die Kleine hätte schelten müssen. „Bitte spiele innen“, murmelte sie gequält.

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