15.11.2012 Aufrufe

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Der Ruf des Falken - Claudia Wamers * Jürgen Nilkens * Oliver Nothers * Robert Symons<br />

geflochten, grüne Augen und leicht gebräunter Teint. Dazu erblickte man, neben dem<br />

Lamellenpanzer, auch mehrere Waffen, die einen durchaus gepflegten, aber auch benutzten Eindruck<br />

machten<br />

���<br />

Selten war der Bergmeister so überrascht gewesen. Gestern Abend hatte die junge Frau die Höhle<br />

betreten, und sich einfach nahe des Eingangs zur Ruhe gebettet - ohne irgendwelche<br />

Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, geschweige denn, die Höhle überhaupt genauer in Augenschein zu<br />

nehmen. Ihr schien es nur darauf anzukommen, wettergeschützt nächtigen zu können - über<br />

irgendwelche nächtlichen Zwischenfälle schien sie sich nicht einmal Gedanken zu machen. Ihr Pferd,<br />

ein aschgrauer Hengst, hatte ebenso friedlich am Eingang übernachtet, und da die junge Frau - nach<br />

dem Ermessen des Bergmeisters - weder weiter in die Höhle vordringen zu wollen schien, noch daß<br />

ihn ihre Anwesenheit störte, hatte er beschlossen, sie dort in Ruhe schlafen zu lassen.<br />

Es waren die zweiten Sonnenstrahlen des vierten Hamilé, die durch ein Loch in der Höhlendecke auf<br />

das Gesicht der am Höhleneingang liegenden jungen Frau fielen. Sie blinzelte erst einmal, räkelte sich<br />

ausgiebig und stand schließlich auf. Als sie aus der Höhle trat, bot sich ihr ein grandioser Anblick:<br />

Die Sonne mehr oder weniger im Rücken, hatte sie von ihrer leicht erhöhten Position aus einen<br />

Ausblick auf <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> - die Stadt, die sie nun nach sechs Jahren der Abwesenheit wiedersehen<br />

würde. Drei Jahre war sie zur Akademie gegangen, zwei weitere auf Wanderschaft gewesen, wie es<br />

das Protokoll verlangte, und eines letztendlich hatte ihr dann die erstrebte Meisterprüfung beschert,<br />

welche sie mit Bravour, wenn auch nicht ohne Komplikationen bestanden hatte. Jetzt hatte sie irgend<br />

etwas dazu veranlaßt, hierher zurückzukehren - ja, es war, als habe sie den Ruf eines jagenden Falken<br />

vernommen, der sie hierher befahl.<br />

���<br />

Die junge Frau saß auf einem Felsvorsprung und schaute durch ein Fernrohr. Da lag es also, getaucht<br />

in die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings - <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>. Zufrieden grinsend steckte sie das<br />

Fernrohr wieder ein und sah sich weiter um. Aus ihrer Perspektive war die Spitze des Felsvorsprungs<br />

durch ihre Beine verdeckt, so daß es aussah, als schwebe sie in der Luft. Lange betrachtete sie die<br />

Stadt noch einmal ohne Fernrohr. Viel hatte sich nicht verändert in den letzten zwei Jahren. Das<br />

Rattenloch war immer noch dasselbe, eine wilde Zusammenstellung von schmutzigen und<br />

windschiefen Hütten und Häusern. Die eine oder andere Hütte mochte verschwunden oder dazu<br />

gekommen sein, aber im Rattenloch machte das keinen großen Unterschied.<br />

„Na dann!“, sagte die junge Frau zu sich selbst. Sie sprang von dem Felsvorsprung einige Tritt in die<br />

Tiefe , direkt in den Sattel ihrer Fuchsstute und ließ das Tier zügig antraben.<br />

Seltsam, dachte sie während sie ritt, wie kommt es nur, daß ich hierher zurückkehre nach all dem?<br />

Nun ja, eine so schlechte Zeit hatte sie hier ja auch nicht gehabt, aber dennoch... die merkwürdige<br />

Unruhe, die sie getrieben hatte zurückzukehren wunderte sie. Es war ihr, als hätte sie den Ruf eines<br />

jagenden Falken vernommen, der sie hierher befahl.<br />

���<br />

Die junge Frau mit dem schwarzen, in zwei langen Zöpfen gebändigten Haar, und den grünen Augen<br />

ritt von Südwesten ein in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>. Hier gab es keine Stadttore, keine Stadtmauern. Wen scherte<br />

es denn schon, wenn hier die kleinen Häuser und Hütten schutzlos standen, oder die Winterstürme mit<br />

ungebremster Wucht durch die schmutzigen Gassen stürmen konnten, um die Bettler vor sich hin zu<br />

treiben. Das Leben war schwer hier in der Unterstadt, dem Rattenloch. Vielleicht...<br />

Es war später Vormittag, als sie die ersten Hütten links und rechts neben sich zurück ließ. Das<br />

Rattenloch sah aus wie an dem Tag, an dem sie die Stadt verlassen hatte - und doch war es auch<br />

wieder ein gänzlich anderes Bild. Hütten wurden aufgebaut, umgebaut, abgerissen und anderweitig<br />

neu errichtet, das Rattenloch war ein ungeordneter Haufen - aber es war lebendig. Die junge<br />

Schwarzhaarige suchte nach weiteren Zeichen, suchte sie überall, und wurde fündig. Dort sah sie eine<br />

junge Frau mit einem kleinen Kind spielen, ein alter Mann pflegte seinen mageren Garten, eine andere

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!