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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Der Anfang - Peter Thomas Goergen<br />

Er komme nicht näher, sagte der Sammler ruhig, er bleibe, wo er sei.<br />

„Gut!“ Wieder das Keuchen. Der andere schien zu überlegen, es raschelte von feinem Stoff wie<br />

Mäuse in einem Speiseschrank.<br />

Lanungo entschied, nichts zu unternehmen, keine Fragen zu stellen, nicht (was ein leichtes gewesen<br />

wäre) den Mann zu fangen und zu verhören. Wer konnte sagen, wieviel wertvoller der andere für ihn -<br />

freiwillig war.<br />

„Daß ich hier bin“, ließ dieser sich dann vernehmen, „ist vielleicht ein Ausbund an Torheit, daß es<br />

mich vernichten wird, steht zu befürchten...“<br />

Geduldig verharrte Lanungo.<br />

„Wenn ich Euch helfe - bei dem - bei Eurem Vorhaben“, brachte der Mann mühsam hervor, denn aufs<br />

neue lag ein Reizhusten schmerzhaft schwer auf seiner Brust, „müßt Ihr mir helfen...“<br />

Er solle seinen Preis nennen, entgegnete der Sammler.<br />

„Mein Preis, Atamane, ist, daß Du mich von hier fortbringst, fort aus <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>, fern von hier...“,<br />

die Stimme verirrt den angsterfüllt umherschweifenden Blick.<br />

Lanungo verzog verwundert das Gesicht. Eine Bitte um Khazanat? Das hatte es so selten gegeben,<br />

daß diese Fälle schon fast poetisch waren - tatsächlich besagte das atamanische Gesetz, das Zuflucht<br />

dem zu gewähren sei, der einem Atamanen auf seinem Weg zum Gleichgewicht der Dinge behilflich<br />

war. Aber dieses Ersuchen war ungeheuerlich! Jetzt fehlte nur noch...<br />

„Beqwia val s'baw se khazanat - dama mederi nui“, flüsterte es.<br />

Lanungo spürte, wie seine Brauen sich sträubten. I'Yat! Die geheime Ebene des I'Yat! Die Sprache der<br />

Kinder des Herrn! Keiner sprach sie, keiner wagte es, sie zu verstehen, außer den Atamanai! Die<br />

rituellen Worte für das khazanat, die einzigen, die je ein Eot-hanubah im Mund geführt hatte<br />

(abgesehen allenfalls von leichten Worten der gewöhnlichen Ebene im Dienste eines alltäglichen<br />

Verkehrs)... Und es waren über sechshundert Jahre vergangen, über sechshundert Jahre, seit das letzte<br />

Mal ein Baldsterblicher sie ausgesprochen hatte - nirgends waren sie verzeichnet, nirgends waren sie<br />

beschrieben: auf natürlichem Wege waren sie nicht zu erlangen...<br />

„Welche Mittel“, und jetzt bewegte sich Lanungo tatsächlich drohend auf den Schutthaufen zu, hinter<br />

dem sich dieses - Ding da verbarg, „welche verbotenen Mittel haben Dich diese Worte gelehrt,<br />

Priester welchen Gottes, Jünger welcher Kunst? Du bist in Gefahr, Kreatur, und sehr sogar, denn...“<br />

Das kleine Geschöpf sprang aus ihrem Versteck hervor, ihre flirrenden Hände wie in entsetzter<br />

Abwehr vor sich gestreckt: „Warte, warte“, wimmerte es und das glatte Tuch glitt ihm vom Kopf, gab<br />

eine weißlich-fischähnliche, dünnsträhnige Fratze frei: „Du willst jetzt alles wissen, nicht wahr, so ist<br />

es doch - warte“, stolperte es beinahe, taumelte rückwärts, während mit dem Sammler ein<br />

scharlachfarbenes Gewitter aufzog, „die Träne, Selefra...“<br />

Da blitzte es auf und erstarb in einem gellenden Schrei.<br />

Lanungo machte einen Satz zurück.<br />

Vor ihm erhob sich, wie sein Spiegelbild in flammend roter Robe, aber umloht von schneeweißem,<br />

kalten Haar, eine hochgewachsene Gestalt, die Finger in das weiche Fleisch des Fischgesichts gekrallt<br />

- jäh eine lodernde Gebärde und der Sammler fühlte einen kräftigen Stoß auf die Brust...<br />

„Suspicio“, bellte die Gestalt enttäuscht.<br />

Lanungo erkannte sein Gegenüber. „Kopfgeldjäger“, sagte er nur.<br />

„Sammler“, entgegnete dieser.<br />

Lanungo beachtete den leichten Schmerz nicht, wohl Folge einer Prellung, der auf seiner Brust<br />

pulsierte - jeden anderen hätte dieser Treffer übelst versehrt einige Sprung weit geschleudert - er<br />

mußte schnell handeln.<br />

Allerdings, bevor er auf den Menschenfänger losgehen konnte, warnte ihn ein sich rasch von hinten<br />

näherndes Scharren; mit einem Satz brachte er sich in sichere Entfernung, fuhr zornesbebend herum -<br />

zwei schlanke Männer, mit tastenden Bewegungen wie Schlangentänzer, bewegten sich zügig auf ihn<br />

zu und in ihren Fäusten blitzte es gefährlich.<br />

Lanungo zögerte nicht, sein linkes Bein schoß mit blendender Schnelligkeit vor; das trockene Bersten<br />

des Brustbeins ging in dem klatschenden Geräusch unter, mit dem der eine gegen die nächste Mauer<br />

geschleudert wurde und wie eine verrenkte Puppe tot zu Boden fiel.<br />

Der zweite zuckte nach vorne, als ein Schlag ihm die Schulterbänder seines Schwertarms zerriß - er<br />

ging auch sofort stöhnend in die Knie, und sah noch, daß der Rote sich schon abgewandt hatte... Nach<br />

seinem Schwert grapschen, mit taubem Gefühl in den Gliedern und aufkeimender Übelkeit sich

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