Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Die Erinnerung der „Nacht“ - Christel Scheja<br />
schenkt. Eine, in der ich nicht nur Erinnerung bin. Ailanth, ich möchte dich in meinen Armen halten<br />
... dich spüren, um zu glauben, das alles wahr ist!“<br />
Ailanth schüttelte den Kopf. „Rhysian, unsere Tochter. Wir müssen unsere Tochter suchen“, sagte sie<br />
langsam und wich seiner Hand aus.<br />
„Rhysian...“ lächelte Mirtanh, oder wer er auch immer war, verträumt. „Du hast unseren Traum wahr<br />
gemacht und uns eine süße kleine Tochter geboren.“ Er deutete auf die Tür. „Sie ist in Sicherheit - ich<br />
habe sie unten spielen gesehen.“<br />
Kinderlachen drang an Ailanths Ohr. Sie drehte verwirrt den Kopf und stöhnte leise, als sie ein<br />
Schwindel erfaßte. Ja, so lachte Rhysian, sie war in ... Mirthan fing sie auf und drückte sie an sich. Er<br />
duftete nach Misis. „Ich kann es kaum glauben“ - murmelte sie benebelt, während er ihre Wange<br />
streichelte.<br />
„Mmmmaauuuw!“<br />
Ein klagender Laut erschreckte sie. Ailanth, die sich an den verlorengelaubten Geliebten schmiegte,<br />
schreckte auf. In den Augenwinkeln sah sie das Kätzchen im Todeskampf zucken. „Ailanth, ich liebe<br />
dich“, wisperte Mirthanh in ihr Ohr, um sie abzulenken. „Komm, laß uns einen Neubeginn machen<br />
und alles vergessen, was geschah. Das Leid, das dir deine unselige Tochter zufügte, werde ich<br />
hinwegwischen und...“<br />
Langsam hob die Gelehrte ihren Kopf und blickte in die Augen des Mannes. Sie wollte selber sehen,<br />
was sie innerlich zu begreifen begann. Gieriger Triumph glitzerte in Mirthans Augen, sein Lächeln<br />
gefror zu einer grausamen Maske, während sich eine Hand in ihr Haar klammerte.<br />
Sie war in die Falle gegangen!<br />
„Nein!“ Ailanth stemmte ihre Hände gegen den Körper - und griff durch den Körper hindurch. Ihr<br />
Kopf wurde in den Nacken gerissen, während sie auch mit den Füßen den Halt verlor. Mirthans<br />
schönes Gesicht verfärbte sich dunkel, verzerrte sich zu einer Fratze während sie um sich trat und<br />
schlug, die düsteren Nebelschwaden wegzuwehen versuchte, die an ihr zogen und rissen, während sie<br />
nichts bewirkte. Die Welt um sie herum begann sich zu drehen. Ailanth schrie, als sich nadelfeine<br />
Stacheln in sie bohrten und zu lähmen begannen. Sie streckte die Hände hilfesuchend nach einem<br />
Schatten aus, der sich in der Nähe der Tür befand, so als könne er ihr helfen.<br />
Der Nebel riß sie in die Höhe. Ailanth stieß sich mit den Füßen von der Decke ab, während sich der<br />
düstere Nebel plötzlich zusammenzog und enge Schnüre um sie bildete. Dumpfes Lachen erfüllte den<br />
Raum...<br />
Bunte Lichter tanzen vor den Augen der Gelehrten, die keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte,<br />
weil ihr die Luft aus den Lungen gepreßt wurde. Es war vorbei. Bei all ihrem Wissen, ihrer Erfahrung<br />
... Sie hatte mehr als nur versagt. Und so geschah es ihr recht, zu sterben, ohne zu wissen, warum...<br />
Dann schlossen sich schmale, aber kräftige Finger um das Handgelenk ihres ausgestreckten Armes.<br />
Ailanth drehte den Kopf. Viel konnte sie nicht mehr erkennen, weil alles vor ihrem Blick<br />
verschwamm, aber sie spürte, wie sie heruntergezogen und die Schnüre von einer blitzenden Klinge<br />
durchtrennt wurden. Dann prallte sie heftig auf dem Boden auf. Das letzte was sie hörte war ein<br />
durchdringendes, grelles Heulen, dann wurde es dunkel um sie.<br />
���<br />
Als Ailanth erwachte, schmerzte jeder Knochen in ihrem Leib. Sie stöhnte, als sie sich bewegte und<br />
die Augen öffnete. Die weiße Decke der Eingangshalle, vom gelben Licht der Stundenkerzen<br />
erleuchtet, schimmerte ihr entgegen. An den Schatten, die sie warfen, erkannte sie, daß sie nicht<br />
alleine war.<br />
Vorsichtig hob Ailanth ihren Kopf, während ihr Herz heftiger zu schlagen begann. Die Gestalt neben<br />
ihr sah ziemlich mitgenommen aus. Das grobleinerne Gewand hing in Fetzen von dem<br />
zerschrammten, blutigen Leib, und die Haare waren eine wirre, verdreckte Masse. Jenseits der Türen<br />
wisperte und raunte es, klapperte Holz, klirrte Metall, raschelte Papier und Stoff, schabte Stein über<br />
Stein.<br />
„So geht das schon die ganze Zeit. Du hättest nicht so viele Dinge ansammeln sollen, die ihnen<br />
gefallen. Wenigstens schreckt sie die Macht der vier Bilder ab ...“, murmelte die Gestalt stockend und<br />
hob den Kopf.<br />
Ailanth schluckte. „Aziareya!“ stieß sie entsetzt hervor.<br />
„Ja, Mutter, ganz recht. Und was ist nun, willst du mich töten?“