Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Eine Art von Nacht - Jeanette Kaz<br />
„In Ordnung Soldat. Und sendet dem Hauptmann unseren Dank für seine Besorgnis. Und auch Euch<br />
unseren Dank. Wir haben Tee, wollt Ihr…?“<br />
„Nein, Danke, Dame. Wir müssen weiter. Gebt acht und haltet die Läden geschlossen.“<br />
„Das werden wir tun. Viel Glück.“ Sorgfältig verriegelte Viril die Tür. „Sind alle Fensterläden<br />
geschlossen? Auch die bei Dir auf dem Dachboden?“ Rain nickte.<br />
���<br />
„Airan!“ Viril stieß die Tür zum Arbeitsraum der Chirurgin auf. Ungeduldig schlug die Gerte an ihren<br />
Rock. Die kleine Schwester sah von dem Mörser auf, in dem sie irgendetwas zerstieß. Innerlich<br />
erschrak Viril über die tiefen Ringe unter den Augen des Mädchens. Die Haut sah selbst in goldenen<br />
Kerzenlicht staubgrau aus. „Was tust Du da?“ „Arnika zerstossen. Sehr viel Arnika. Es wird nicht<br />
besser, das Fieber geht nicht 'runter. Ich muß, ich muß …“<br />
Sie schluckte. „Du willst ihn nochmal operieren? In Deinem Zustand? Süßes Hale, Du mußt von allen<br />
guten Geistern verlassen sein! Wie lange hast Du nicht mehr geschlafen?“<br />
Airan fuhr herum und schrie: „Das weiß ich nicht - wie auch, wo es doch einfach nicht mehr Tag<br />
werden will! Verstehst Du nicht? Ich, ich habe ihn aufgeschnitten in diesem Dreckloch! Und weil ich<br />
nicht Verstand genug hatte, das Risiko einzugehen und ihn hierher zu bringen wird er jetzt vielleicht<br />
sterben!“<br />
„Still!“ Virils Stimme peitschte durch den Raum und die Chirurgin zuckte zusammen, als habe sie ein<br />
körperlicher Hieb getroffen. „Die Frage ist: Wird er es noch ein paar Stunden durchstehen, oder mußt<br />
Du das Risiko eingehen in aufzuschneiden, wenn Du kaum gerade stehen, geschweige denn die Hände<br />
lange genug ruhig halten kannst, um einen geraden Schnitt anzusetzen?“ Airan wandte sich ab. „Ich<br />
weiß nicht. Ich weiß es einfach nicht. Sicherlich wird er in den nächsten paar Stunden nicht sterben,<br />
aber vielleicht wird er zu schwach für eine neue Operation sein. Vielleicht auch nicht.“<br />
„So. Du weißt es nicht. Dann werde ich Dir zumindest diese Entscheidung abnehmen. Ich werde jetzt<br />
neben Dir stehen bleiben und nicht weichen, bevor Du Dir nicht selbst ein angemessenes Schlafmittel<br />
zubereitet hast. Dann werde ich überwachen, wie Du Dich in Deinem eigenen Bett zur Ruhe legst und<br />
Dich einschließen. Und dann wirst Du so lange schlafen, bis wir Dich wecken. Und das kannst Du als<br />
Befehl betrachten.“<br />
„Mutter Oberin…“<br />
„Keine Widerrede. Ich selbst werde bei Deinem Patienten Wache halten. Du kannst unbesorgt sein,<br />
sollte sich an seinem Zustand etwas verändern, werde ich Dich wecken. Also, los.“<br />
Airan wälzte sich unruhig auf ihrem Bett hin und her. Schließlich setzte sie sich auf. Jeder Muskel tat<br />
ihr weh, und sie hatte ein Gefühl, als seien Ihre Augen mit Watte ausgestopft. Zögernd griff sie nach<br />
der Wachstafel, die Rain wohl auf ihren Nachtisch gelegt hatte. Dort stand nur ein Name. Aber Airan<br />
wußte, wer das war. „Vier Hände sind besser als zwei. Zwei Köpfe haben mehr Ideen als einer.“ Sie<br />
hörte Rains ruhige Stimme nochmal. Die Frau, deren Name hier stand, und auch, wie sie zu finden<br />
war, war das Weib des Hauptmanns. Er hatte den kleinen Schwestern nur Gutes getan. Konnte seine<br />
Frau eine Quacksalberin sein, die mit dem Leben ihrer Patienten spielte? Airan umklammerte das<br />
Täfelchen so fest, daß ihre Finger sich in das gehärtete Wachs gruben. „Vier Hände … zwei Köpfe<br />
…“ unaufhörlich hallten Rains Worte durch Airans leergefegtes Hirn. „Vier Hände … zwei Köpfe<br />
…“ „Was kann es schaden?“ flüsterte ein verräterisches Stimmchen in ihrem Hinterkopf, „was kann<br />
noch verdorben werden?“ Ja, was?<br />
���<br />
Viril stieß die Läden auf. Es war noch immer dunkel. Rain rieb sich müde die Augen. Sie hatte die<br />
Wundhaken gehalten, während Airan arbeitete, als hinge ihr Leben davon ab.<br />
Ihr Magen schmerzte vor Hunger, aber sie brachte keinen Bissen über die Lippen. Zu deutlich sah sie<br />
noch das Bild vor sich, wie Airan den Leib des Mannes geöffnet hatte, den gelb-grünen Eiter, der<br />
ihnen entgegensuppte. So viel davon, daß Airan einen Teil mit einem kleinen Löffel ausschöpfte.<br />
Aber das war bei weitem nicht das schlimmste gewesen. Die Wunde lag nahe bei den Eingeweiden<br />
und roch entsprechend. Und, so hatte Airan ihr gepreßt erklärt, es reichte nicht, die<br />
entzündungshemmende Lösung aus Arnika und Alkohol überall zu verstreichen. Zuvor mußte der<br />
Eiter beseitigt werden, oder die Entzündung würde in wenigen Stunden wieder durchbrechen. Rain