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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Stiefkinder des Schöpfung I: Die vier Jahreszeiten - Marc Rösel<br />

15. Hamilé<br />

Heute nacht hatte ich verwerfliche erotische Fantasien, die ich kaum wage, meinem Tagebuch<br />

anzuvertrauen. Ich träumte mit offenen Augen davon, wie ich mich gemeinsam mit Shivistri und<br />

Eolyn heißen Liebesspielen hingebe! Bei allen Märtyrern, was ist nur mit mir geschehen? Bin ich<br />

verhext?<br />

Mein Entschluß steht fest, es ist die einzige Möglichkeit. Ich werde mich von Shivistri distanzieren<br />

und in Zukunft auch nicht mehr in meinem Tagebuch von ihr schreiben. Ich muß einen Schlußstrich<br />

ziehen, ehe mein unmoralisches Begehren mich zu einer unüberlegten Tat verleitet.<br />

Sommer der Liebe<br />

14. Mittmond (166 n.G.)<br />

Die erste Eintragung seit über einem Jahr.<br />

Ich habe mich verliebt. Nicht in Shivistri, auch wenn sie mir immer noch sehr viel bedeutet. Ich habe<br />

im Internat einen jungen Mann kennengelernt, den älteren Bruder einer Schülerin. Er ist Taominoi,<br />

allerdings von weitaus höherem Stand als ich, der Sohn eines Griondo. Sein Name ist Dan Joao de<br />

Leolo, und er wirbt um mich. Ich hätte nie gedacht, daß ich mich jemals in einen Mann verlieben<br />

könnte!<br />

Ich werde ihm ein eigenes Tagebuch widmen.<br />

30. Mittmond<br />

Seit ich Joao kenne, fühle ich mich leicht und gelöst. Ich liebe ihn. Aber für ihn kann unserer<br />

Bekanntschaft nur ein Spiel sein, und selbst, wenn er es ernst meint, er wird einmal den Titel eines<br />

Griondo erben und kann unmöglich eine niedrige Adlige ehelichen, wie ich sie bin. Ich sollte meinen<br />

Traum vom Glück solange genießen, wie er währt.<br />

38. Mittmond<br />

In der letzten Zeit habe ich das Gefühl, beobachtet und verfolgt zu werden. Gestern sah ich Dimitri<br />

am Fenster, als ich mich von Joao mit einem Kuß verabschiedete. Er tat so unauffällig, daß es mir<br />

sogleich auffiel.<br />

10. Oberring<br />

Jetzt bin ich mir sicher. Es ist in der Tat Kestril Dimitri, der mich regelrecht beschattet. Soll ich ihn<br />

zur Rede stellen? Nein, ich habe darüber nachgedacht, wahrscheinlich wirde er von Dan Ladrisim<br />

bezahlt, den Umgang seines Sohnes und Erben zu prüfen. Ich muß die Angelegenheit mit Würde über<br />

miche ergehen lassen.<br />

13. Oberring.<br />

Kestril Dimitri wohnt unter dem Dach, und sein beengtes Zimmer erinnert an die Studierstube eines<br />

Gelehrten. Gestern lud er mich zu einem Te ein, un ich bin der Einladung gefolgt. Der Tee schmeckte<br />

widerlich und zählt sicherlich nicht zu den Getränken, die Dimitri im Normalfall zu sich nimmt. Ich<br />

entdeckte hinter aufgetürmten Büchern und Manuskriptseiten eine rerschreckende Anzahl von leeren<br />

Weinflaschen.<br />

Die Unterhaltung verlief sehr einseitig, und ich gewann bald den Eindruck, einem Verhör unterzogen<br />

zu werden, ließ mir aber nichts anmerken. Das einzige, was ich über ihn erfuhr, war, daß er an der<br />

Universtät von Multor studiert hatte, sein Studium aber aus Geldmangel abbrechen mußte.<br />

Ausnahmsweise war das eine Geschichte, die ich ihm sogar glaubte.<br />

27.Oberring<br />

Ich habe meinerseits Nachforschungen über Dimitri angestellt, der in der Unterstadt auch unter dem<br />

Beinamen „der Student“ ein Begriff ist. Mein Informant, der Bettler Almir, wußte mir zu berichten,<br />

daß Dimitri ein stadtbekannter Urkundenfälscher ist. Manchmal arbeitet er als Spion, beschattet<br />

Personen und fertigt Dossiers über ihren Werdegang, ihr Verhalten und ihre Gewohnheiten an (so wie<br />

bei mir), aber seine Haupterwerbsquelle sind gefälschte Passierscheine. Ich werde ihn nicht bei der<br />

Stadtwache anzeigen, denn auf das Fälschen von Passierscheinen steht in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> der Tod, und<br />

ich mag ihn, obwohl ich enttäuscht bin, daß er mir so in den Rücken gefallen ist.

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