Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Wie der Hieb des multorischen Säbels - <strong>André</strong> <strong>Wiesler</strong><br />
Nun würden sie es zumindest trocken, windgeschützt und weich haben.<br />
Inigo ließ sich wieder auf dem Stuhl nieder, zog die nackten Füße auf die Sitzfläche, damit sie nicht<br />
auf dem kalten Lehmboden ruhten, und legte den Kopf schräg. Yesihja hatte ihm eine mehr als<br />
Lückenhafte Geschichte erzählt und nun dachte er darüber nach, wie er darauf reagieren sollte. Er<br />
entschloß sich für den Frontalangriff: „Yesihja, wer seid ihr wirklich?“<br />
Sie riß ihren Blick erschrocken von dem Apfel los, den zu nehmen sie aber noch nicht über sich<br />
gebracht hatte: „Wie meint ihr das? Ich bin Yesihja, die Magd.“<br />
Inigo schüttelte den Kopf: „Es ist doch Rutschek ein Bnamule, daß Berf nicht Hegenberfen willst!“<br />
Sie kniff die Augenbrauen zusammen und blickte ihn unverständlich an: „Bitte?“<br />
Seine Meinung bestätigt findend nickte Inigo. „Yesihja, ihr sagt ihr seid eine Magd. Aber eure Hände<br />
sind so rein, gepflegt und zart, als hätten sie noch nie auch nur eine Bohle geschrubbt, eine Erdfrucht<br />
geschält oder auch nur einen Eimer getragen. Dann sagt ihr, ihr würdet aus dem Hause eines reichen<br />
Händlers in der Güldenen Ebene kommen. Die Güldene Ebene wird hier bei uns der Höllenpfuhl<br />
genannt, und nicht umsonst. Dort leben sehr viele rauhe Gesellen, ehemalige Soldaten und Söldner<br />
und es müßte schon mit dem Schutz aller Götter zugehen, wenn eine zarte junge Frau wie ihr<br />
unbeschadet bis zur Grenze der anderen Ostländer käme, noch dazu alleine! Auch gibt es im<br />
Höllenpfuhl nur wenige reiche Händler, und die hätten euch sicher nicht zur Magd, sondern eher zur<br />
Konkubine genommen und gut auf euch aufgepaßt. Das würde zwar erklären, warum die zwei Männer<br />
hinter euch her waren, aber nicht, warum die mich nicht versuchten niederzustechen. Sie wären mit<br />
euch längst über alle Berge, bis man mich findet. Außerdem habt ihr mir gerade bewiesen, daß ihr<br />
nicht mal die einfachsten und bekanntesten Stücke des Pfuhl-Dialekts sprecht. Yesihja ist auch nicht<br />
euer richtiger Name. Eine Frau wie Atakuela ´Keusch´ De Kuansa wird sich sicher nicht mit Mägden<br />
abgeben. Also frage ich euch: Wer seid ihr?“<br />
Während seines Monologs war Yesihja immer kleiner geworden und blickte jetzt verschüchtert auf.<br />
Inigo wurde es mulmig. Wie sie da saß, ein Häufchen Elend, so ganz und gar nicht mehr wütend und<br />
trotzig, hatte er eher das Bedürfnis sie zu beschützen als ihr ihre Lügen vorzuwerfen.<br />
„Versteht mich nicht falsch, ich werfe euch nicht vor vorsichtig zu sein und nicht jedem eure<br />
Lebensgeschichte sofort aufzutischen, das ist eine gute Vorsichtsmaßnahme, gerade in dieser Stadt,<br />
aber ihr wohnt in meinem Haus und da möchte ich wissen, mit wem ich es zu tun habe!“<br />
Yesihja blickte auf, Verzweiflung malte sich in den hellen Augen ab. In diesem Moment kochte<br />
blubbernd und zischend der Tee über dem Feuer über. Inigo wirbelte herum, hatte im Nu den Degen<br />
heraus, stieß ihn unter den eisernen Hacken des Kessels und nahm ihn vorsichtig vom Feuer.<br />
Behutsam stellte er den dampfenden Topf auf den Tisch und steckte den Degen mit einer<br />
geschmeidigen Bewegung weg. Als er sich wieder umwandte, um die Antwort seiner Frage<br />
einzufordern, sah er Yesihja zusammengesunken auf dem Stuhl sitzen und ihr Oberkörper erzitterte<br />
von Zeit zu Zeit heftig. Erschrocken machte Inigo einen Schritt auf sie zu, zögerte kurz, legte dann<br />
aber seine Hand auf die zarte Schulter. Yesihja zuckte unter seiner Berührung zusammen, floh sie<br />
aber nicht. Statt dessen drehte sie den Kopf zu ihm, die Augen voller Tränen, die auch über die<br />
dunklen Wangen liefen und glänzende Spuren hinterließen. Inigo hatte Gewissensbisse. Es gab wenig,<br />
was Inigo in seinem sonnigen Gemüt und seinem großen Selbstvertrauen erschüttern konnte, aber die<br />
Tränen einer Frau gehörten dazu. Yesihja blickte wieder zu Boden und flüsterte ein: „Ich kann es euch<br />
nicht sagen! Ihr würdet es mir sowieso nicht glauben!“<br />
Inigo setzte an etwas Tröstliches zu sagen, sagte dann aber nur: „Nehmt euch einen Apfel Yesihja,<br />
und stärkt euch. Solange ihr in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> verweilt, so lange werdet ihr in meinem Haus<br />
willkommen sein, egal wer und was ihr wirklich seid!“<br />
Dann glitt er aus Hemd und Hose und schlüpfte unter die rauhe Decke, die er zu zwei Teilen auf dem<br />
Boden und zu einem über sich ausbreitete. Er blickte noch einmal auf und sah lächelnd wie Yesihjas<br />
kleine Hand den Apfel ergriff. Nachdem auch sie sich wenig später zur Ruhe gelegt hatte, schlief<br />
Inigo ein.<br />
���<br />
Die Sonne hatte Inigo geweckt und jetzt schlüpfte er in sein rotes Hemd, ließ es aber bis fast zum<br />
Bauchnabel offen. Der Talu war bis jetzt noch einigermaßen trocken gewesen und überraschend<br />
warm.