Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

Vogelfreiheit - Stephan Packard
Jetzt saß er da mit seinem Stab, den er aus einer staubigen Ecke in seinem Keller geholt hatte. Er
hatte beschlossen gehabt, Magie einzusetzen, echte und große Magie, um das Geschehen im
Rattenloch zu überwachen. Das war die Aufgabe der verstreuten Perger auf ganz Nontariell:
Wissen sammeln. Mehr tat der Alte Orden zu Pergemitron nicht mehr. Zu mehr war er nicht mehr
in der Lage.
Legenden erzählten davon, daß die Magier und Gelehrten in dem kleinen Gebirgsstaat zwischen den
hoch aufgetürmten Spitzen der östlichen Berge einstmals um die Wahrheit hinter der Welt
gekämpft, daß sie diese Wahrheit nicht nur gesucht, sondern selbst gemacht hätten...
Jetzt war mit all den weisen Männern vom Berge dasselbe passiert, was Manyr in seinem
selbstgewählten Exil widerfuhr: Sie waren in die Mitte der Waage gerutscht. Nicht im Licht war ihr
Wesen, auch nicht im Dunkeln; sie machten einfach keinen Unterschied mehr. Sie wirkten
nicht. Sie handelten nicht. Sie lebten ja kaum mehr.
Aber sobald er es wagte, wieder eines der großen Wunder zu wirken, sobald er eine Höhere
Projektion versucht und selbst zum Vogel geworden war, hatte er sich in einer Richtung in
Bewegung gesetzt. Er hatte Licht gewirkt, und kaum war diese Entscheidung gefallen, mußte er als
Licht vor dem Dunkeln bestehen.
Denn kaum, daß er den Zauber gewirkt hatte, tauchte auf der anderen Seite ein Gegenspieler auf.
Kaum hatte er sich zur Handlung entschieden, wurde er wieder hineingerissen in den Kampf
zwischen dem Hellen und dem Dunkeln.
Lyrs Ringe... Sie stammten nicht von diesem Kontinent, waren ein Erbstück ihrer fremden
Vorfahren. Sie konnten Tore öffnen, nicht diese zwei Ringe alleine, aber wenn einer fünf von ihrer
Art gesammelt hatte, konnte er hinüberwechseln, hinüber in die Halbwelt, - Ein kann der gehn in
die Schatten des Halbdunkels. Dort aber wartet Macht, mit der er Großes in beiden Welten bewirkte.
Und er, Manyr, der Schreiber, war ausgezogen, den anderen, den Falken, den Dunkeln, aufzuhalten.
Ihm den einen Ring zu entreißen, den anderen vor seinem Zugriff zu schützen... ein uraltes Motiv in
Märchen und Legenden. Fast so, als sei die Zeit der Sagen wiedergekehrt. Oder als wäre er in
die Welt dieser Erzählungen hinübergerutscht, als er sich in die Krähe bewegte, in ihrem Körper
flog und in ihrem Leib litt. Er, Manyr, würde jetzt wieder handeln müssen.
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Eine flüchtige kühle Brise ließ Lyr erschauern. Ein Perger! Sie versuchte sich zu erinnern, welche
Rolle Pergemitron in den Märchen ihrer Großmutter gespielt hatte. Land der hundert Weisen... Eines
Tages war der Schlaf über ihre Große Schule gefallen, die Graubärte waren endgültig über ihren
Büchern zusammengesackt, und eine hohe Hecke war um den großen Bau gewachsen... Nie
wieder hatte man etwas von den Gelehrten gehört.
Wenn sie sich einen dieser Schläfer, die in alten Sagen oft vom Held gefunden, aufgeweckt und um
Hilfe befragt werden mußten, vorstellen wollte, dann käme Manyr ziemlich genau hin: Klein,
steif, uralt. Die Gelenke mußten ihn schmerzen, er sah nichts mehr ohne das seltsame
Linsenkonstrukt auf seiner Nase; erstellte er Wettervorhersagen nach dem jüngsten Ziehen in seinem
Zauberstab?
Überhaupt: Zauberstab. Ein alter, ausgebleichter Holzstecken, wie der abgefallene Stiel eines
Besens. Auch eine nette Vorstellung: Manyr, wie er sich an den Haaren einer Hexe
festklammerte und hinter ihr auf einem Besenstiel durch den Kamin ritt! Der lange Holzstecken war
mit ebensoviel Staub bedeckt wie Manyrs Kutte und wie seine Seele. Was wollte der alte Mann
schon ausrichten?
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Wenn er jetzt handelte, dachte Manyr bei sich, würde er der wirklichen Welt der Taten und
Entscheidungen nicht mehr auskommen. Wenn er sich jetzt profilierte, würde das Profil haften
bleiben, und er würde weiterhin die Zauber des Lichts wirken müssen, um am Leben zu bleiben;
seine Aktion würde Reaktionen hervorrufen, und die geruhsame Rolle des alten Schreibers wäre
dann für ihn gestorben.
Wie sollte er seinen Auftrag dann noch erfüllen? Große und berühmte Zauberer eigneten sich
nur wenig zum typischen unbeteiligten Beobachter, den ein Perger abgeben sollte. Würden sie