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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Stiefkinder des Schöpfung I: Die vier Jahreszeiten - Marc Rösel<br />

Seele überziehen. „Das verstehst du nicht, und wahrscheinlich wirst du es niemals verstehen. Ich bin<br />

müde geworden, Mariannette.“<br />

„Dann geh mir aus dem Weg, alter Mann! Deine Zeit ist vorüber,“ sagte die Rote Zauberin<br />

verächtlich.<br />

Statt einer Antwort seufzte Penhaligon nur traurig, dann trat er zurück, aber nur einen Schritt. Er hob<br />

beide Arme, die Handflächen senkrecht und gegen Mariannette gerichtet, einen Arm angewinkelt<br />

nach vorne gestreckt, den zweiten seitlich neben seinem Gesicht. Es sah so ähnlich aus wie die<br />

Grundposition einer der Kampfkünste der Chendai-Kan.<br />

Mariannette Flambertin nahm eine ähnliche Stellung ein, aber die Finger ihrer vorgestreckten linken<br />

Hand waren zu einer Klaue gekrümmt. während ihre schräg über den Kopf gehaltene Rechte zur Faust<br />

geballt war.<br />

Wortlos standen sie sich gegenüber.<br />

Das Schweigen lastete wie Blei.<br />

Minutenlang.<br />

Es schien, als würde die Zeit stillstehen.<br />

Durch die blutroten Rauchschwaden und durch den Nebel der Zeit hinweg spürten wir die gewaltigen<br />

Kräfte, die sich zwischen den beiden Menschen (?) aufbauten, welche sich hier gegenüberstanden. Es<br />

war ein stummer und lautloser Kampf, der hier stattfand, ohne pompöse Gesten, ohne Formeln, unter<br />

Verzicht auf alle Äußerlichkeiten. Zwei Mächtige rangen miteinander in einem gespenstisch stillen<br />

Zauberduell. Es war ihre schiere Macht, nicht kanalisiert in Sprüche oder in konkrete Zauber,<br />

vielmehr die pure Kraft ihres magischen Potentials, durch welche die Luft zwischen ihnen vibrierte.<br />

Die Zeit und alle Gesetze der Schöpfung waren aufgehoben. Es gab nur noch Mariannette Flambertin<br />

und Ludomill Penhaligon im Auge des von ihnen entfesselten Orkans. Für eine Zeitlang schien es so,<br />

als könnte der alte Meister (war er wirklich älter als sie, oder trog der äußere Schein?) der Dame in<br />

Rot standhalten, sie sogar besiegen... dann drängte sie ihn Schritt für Schritt zurück, bis er mit dem<br />

Rücken zur Wand stand. Plötzlich und unerwartet ging Penhaligon zum Gegenangriff über, ergriff die<br />

Offensive, ballte die rechte Faust und stieß damit in die leere Luft, richtete seine Kraft in einem<br />

gezielten Angriff auf Mariannette. Die Dame in Rot wurde zurückgeschleudert, prallte gegen die<br />

gegenüberliegende Wand und sank daran zu Boden. Glitzerndes Blut schimmerte auf ihren Lippen<br />

und tropfte auf den polierten Treppenabsatz. Hustend krümmte sie sich zusammen, und erneut spritzte<br />

Blut auf die Stufen. Doch schon sprang sie wieder hoch, ihr schmales Gesicht verzerrt wie das einer<br />

Raubkatze, und vollführte mit den gekrümmten Fingern ihrer linken Hand einen Schlag ins Leere. Ein<br />

reißendes Geräusch war zu hören, dann befleckte frisches Blut ihre bleiche Hand, und Ludomill<br />

Penhaligon brach auf der gegenüberliegenden Seite des Treppenabsatzes stöhnend zusammen, sein<br />

Brustkorb zerfetzt wie durch den Prankenhieb einer großen Katze. Die rechte Faust der Dame in Rot<br />

zuckte vor, begleitet vom Geräusch berstender Knochen. Der alte Mann wurde gegen das<br />

Treppengeländer geschleudert, das durch die Wucht des Aufpralls zerbrach, und stürzte mit einem<br />

gequälten Schrei in die Tiefe.<br />

Die Dame in Rot stand vor dem durchbrochenen Geländer und blickte auf den reglos daliegenden<br />

Körper ihres Gegners, der drei Stockwerke tiefer aufgeschlagen war und unter dem sich eine rasch<br />

größer werdende Blutlache bildete.<br />

„Nicht ich werde dein Henker sein, Ludomill,“ sagte die Rote Zauberin leise „Nicht ich bin es, die<br />

dich tötet.“ Fast klang es wie eine Beschwörung, und tatsächlich kam die Blutung des zerschmetterten<br />

alten Mannes zum Stillstand. Ein Hauch von Bedauern lag auf dem Gesicht von Mariannette<br />

Flambertin, als sie sich abwandte und die restlichen zwei Stockwerke hinaufstieg.<br />

Die Wohnungstür der Feheli zerbarst in einer Stichflamme unter einem ins Leere gezielten<br />

Faustschlag. Dann war die Dame in Rot am Ziel.<br />

Absidian und Xelesia standen im Innersten Schutzkreis, und bei ihnen war ihr Sohn, auch er schlafend<br />

durch das Spiel der magischen Flöte. Es wurden keine Worte gewechselt. Mariannette und Ludomill<br />

waren vielleicht einstmals Freunde gewesen, aber was gab es zu sagen zwischen Eltern, die ihr Kind<br />

beschützten und der Frau, die es töten wollte?<br />

Das Ehepaar warf all seine Zauberkraft gegen das Rote Fräulein, und Aramar hätte seine reinste<br />

Freude daran gehabt, wenn er von der Fähigkeit der beiden unscheinbaren älteren Herrschaften<br />

gewußt hätte, denn sie waren da, wo er sich wünschte zu sein, aber noch viele Jahre (Jahrhunderte?)<br />

benötigen würde, um dorthin zu gelangen. Wo hatten sie ihre Kunst gelernt? Gewiß nicht auf

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