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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Erkenntnis - Thomas Peter Goergen<br />

„In der Tat“, erwiderte der Totengräber und entblößte lächelnd seine beneidenswert weißen Zähne.<br />

Torador hatte schon früher bemerkt, daß wirklich nur die Rede von Süßigkeiten den anderen zu einem<br />

Anflug guter Laune bewegen konnte. Lugubrues warf dabei einen vorsichtigen Blick auf die<br />

Marzipanschnitten seines Begleiters; er bot Torador zum Tausch etwas von seinem Schatze an. Beide<br />

kamen überein, daß Meister Mollk eine Art Halbgott sei. Etwas gelöster setzten sie ihren Weg fort.<br />

„Ich habe lange nichts mehr von Euch gehört, Herr Lugubrues...“<br />

„Ich bin sehr beschäftigt gewesen in der letzten Zeit“, nickte der Totengräber.<br />

„Ach? Ihr meint...“<br />

„Nein, nicht einmal besonders. Der Mittmond ist ein sehr sanfter Monat. Aber“, da wurde seine<br />

Miene wieder ernster, „aber es gibt da etwas... Ich bin sehr besorgt!“<br />

Das sagt man Euch nach, dachte der Heiler, machte dennoch ein fragendes Gesicht.<br />

„Die Prüfungen, Meister Broschakal, die Prüfungen“, und, als Torador verständnislos dreinblickte,<br />

ergänzte er: „Es kommen sehr schwere Zeiten auf die Stadt zu...“ Dann, mit der Straßenseite,<br />

wechselte er aber die Sache des Gesprächs: „Eurer Mutter geht es gut“, stellte er fest.<br />

„Ja, doch - danke der Nachfrage“, Torador blintzelte verwundert.<br />

„Demnächst wird ein neuer Triumvirat gewählt“, meinte der Totengräber eher teilnahmslos. „Eure<br />

ehrenwerte Mutter...“<br />

„Ja?“<br />

„O nichts!“ Der Mann mit der weißen Strähne zuckte mit den Achseln. Eine kleine Weile gingen sie<br />

schweigend. Doch Torador war neugierig, unruhig geworden, weniger was seine Mutter anbelangte,<br />

als die merkwürdigen Bemerkungen des unheimlichen Mannes davor: „Ihr verzeiht - ich, nun...“<br />

„Ja?“ Der Totengräber blickte ihn scharf von der Seite her an.<br />

„Was meintet Ihr, verzeiht meine..., mit - 'Prüfungen'...“<br />

„Die Prüfungen?“ Unvermittelt blieb der Totengräber stehen. Er legte die Hand vor die Augen, starrte<br />

angestrengt in den leuchtenden Sommerhimmel. Torador folgte mit den Augen, mußte sie<br />

zusammenkneifen, so sehr blendete ihn die Sonne. Der Totengräber aber hatte inzwischen die Hand<br />

sinken lassen und schaute unbewegt in das helle Licht, das er kaum wahrzunehmen schien.<br />

Als er dann zu sprechen begann, schrak der Heiler zusammen, wie wenn ein steinernes Standbild das<br />

Wort an ihn gerichtet hätte, denn so kam ihm der Totengräber in diesem Augenblicke vor: „Es<br />

kommen zwei Prüfungen“, sagte der Seher mit grauer Stimme, „und eine wird schlimmer sein als die<br />

andere. Denn die erste wird uns allen jede Kraft abverlangen, die wir besitzen: das ist der Unstern<br />

unserer Leibes! Die zweite wird über uns kommen und wird die Stärke unseres Glaubens prüfen: das<br />

ist der Unstern unser aller Seelen! Die erste wird sein aus Schwärze und Nacht und sie wird dauern<br />

und uns einsam machen! Die zweite wird aus Feuer sein, ein großer Brand in dieser und in der<br />

anderen Welt und die Götter werden sich von uns abwenden, weil sie selbst von Furcht verfüllt sein<br />

werden...“<br />

Torador wich zurück. Beinahe wäre ihm die Tüte mit den Marzipanschnitten entglitten: „Großer<br />

<strong>Mantow</strong>in“, stammelte er, „ich weiß nicht, ob Ihr von Sinnen seid oder nicht - aber das - das war -<br />

gotteslästerlich...“<br />

„Gotteslästerlich?“ dröhnte der Seher, als er seinen Blick aus der Sonne auf den Heiler schnellen ließ,<br />

der sich nicht gewundert hätte, würde ihn daraus ein tödlicher Flammenstrahl getroffen haben! Aber<br />

die Augen des anderen blickten so traurig und müde, daß Torador erneut von Mitleid ergriffen wurde.<br />

„...gotteslästerlich?“ wiederholte der Totengräber leise. Dann drehte er sich um und eilte über die<br />

Straße davon.<br />

Lanungo erwachte. Sein Kopf schmerzte, und als er sich bewegte, konnte er nur mit Mühe ein<br />

Stöhnen unterdrücken: er ortete die tiefe Stichwunde in seiner rechten Seite. Ein weißer Verband war<br />

darum geschlungen. Allmählich klärte sich seine Sicht.<br />

Er lag auf einem Berg von Moos und Gras in einer halbdunklen Höhle, eingewickelt in seinen roten<br />

Umhang. Wams und Oberkleider lagen, wenn auch nicht gerade sorgfältig, gefaltet auf einem großen<br />

Brocken unweit seines Lagers. Der Stab ruhte an einer Wand. Es roch scharf nach Gerbsäuren und<br />

anderen unreinen Dingen. Von draussen drangen schwache Geräusche, allerdings schienen sie nicht<br />

nah zu sein.<br />

Der Sammler kniff aufmerksam die Augen zusammen; vorsichtig glitt er, der Schmerzen nicht<br />

achtend, von seiner Bettstatt herunter.

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