Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Ein Eimer Bier und andere Verrücktheiten - Dietmar Cremers<br />
bald. Hier werden wir dich erst einmal aufbewahren. Denn, wie man mir sagte, bist du eine Gefahr für<br />
die Gesellschaft.“ - „Schwafel nich’ ... sag’ mir den Zeitpunkt meiner Opferung ...“ Der Priester zog<br />
eine Augenbraue hoch, während einer seiner Diener in ein breites Grinsen verfiel: „He, Großmeister,<br />
habt Ihr gehört? Er will, daß wir’n opfern. Soll’n ‘wa nich’...? Der is’ doch sowieso schon nix mehr.“<br />
Doch der so Angesprochene - und jetzt war wirklich der letzte Zweifel Den’s darüber beseitigt, daß er<br />
es mit einem Priester zu tun hatte - hob abwehrend eine Hand. Nahezu mitleidig betrachtete er die<br />
kraftlose Gestalt auf dem Strohballen. „Bei <strong>Mantow</strong>in, zuerst hatte ich ja Bedenken bei diesem<br />
Freundschaftsdienst. Aber allmählich glaube ich, dieser Wilde ist völlig zurecht bei uns. Nun ja, das<br />
bedeutet wieder einmal einen mehr ... Wenigstens wird für seine Verwahrung bezahlt. Gut, beenden<br />
wir unseren Krankenbesuch und wenden wir uns wichtigeren Dingen zu.“ Die Vier entfernten sich<br />
eilig aus dem Raum und ließen einen leicht verwirrten Den zurück.<br />
Vier Tage später machten sie einen kleinen Spaziergang durch ihr Stockwerk der Lyzeum.<br />
„Spaziergang“ war eigentlich nicht das richtige Wort dafür, Aljuscha hatte es nur so genannt. Weil<br />
Den durch seine täglichen Portionen Beruhigungsmittel zu schwach zum Gehen war, saß er in einem<br />
kleinen Holzkarren. Die Aufpasser hatten nichts dagegen gehabt, sie hatten sogar den Wagen zur<br />
Verfügung gestellt um sich über den Anblick des schwachen Muskelberges weiter zu belustigen.<br />
Gezogen wurde der Karren von dem Dritten im Bunde, dem Barden Nurin. Dieser Freund von<br />
Aljuscha war ein schlanker, hochgewachsener Mensch mit einem türkisfarbenen Hemd, das über und<br />
über mit farbigen Handabdrücken bemalt war. Er war schon seit mehreren Monaten in der Lyzeum<br />
und ein sehr komischer Kauz. Denn er weigerte sich steif und fest zu singen. Den hatte nur sehr wenig<br />
über Nurin herausgefunden, der Barde sprach selten ein Wort. Er war wohl einst ein gefeierter Sänger<br />
gewesen, der sogar weit über die Grenzen des Stadtstaates bekannt geworden war. Schließlich sollte<br />
er anläßlich eines Stadtjubiläums vor dem Triumvirat auftreten, was seinen Ruhm wohl für alle Zeiten<br />
gefestigt hätte. Doch nur wenige Minuten vor seiner Darbietung, dem Höhepunkt des Festes, schien<br />
etwas passiert zu sein. Etwas, über das Nurin nicht redete und das so schrecklich gewesen war, daß es<br />
ihm - im wahrsten Sinne des Wortes - die Stimme verschlagen hatte. Das Triumvirat war über seinen<br />
stummen Auftritt sehr erbost. Um ihr Gesicht vor der buhrufenden Menge nicht zu verlieren, erklärten<br />
sie Nurin kurzerhand für einen „verwirrten Geist“ und schoben ihn in die Lyzeum ab. (Wohl als<br />
kleine Aufmerksamkeit an die Götter, dachte Den.) Der Barde jedoch schien sich inzwischen an sein<br />
Gefängnis gewöhnt zu haben, zumindest beklagte er sich nie. Den konnte nicht verstehen, warum. Er<br />
wußte aber, daß sowohl Aljuscha als auch Nurin keine Drogen bekamen. Ihr Freiheitswille schien von<br />
selbst erloschen zu sein.<br />
Die Zauberin plapperte nachdenklich vor sich hin, während Nurin und Den schweigend den „Ausflug“<br />
genossen: „Es war irgendwas mit ‘pe’ ... pe-ta-hau-erat? Nein, pe ... pe ... oder doch mit ‘-goth’ am<br />
Ende? Iä, Rhan-Tegoth!!! ... Yuggoth? ... Yog-Sothoth??? ... Oh, verdammt.“ Während der letzten<br />
Worte Aljuschas waren sie an einer offenen Zellentür angekommen. Den warf einen flüchtigen Blick<br />
hinein und gab ein empörtes Grunzen von sich. Der Karren hielt an. Den quälte sich in eine aufrechte<br />
Position und schleppte sich dann die wenigen Tritt in den winzigen Raum. In einem soliden Bett lag<br />
dort auf einer Strohmatratze eine alte Frau. Eine übelriechende Wolldecke bedeckte ihren nackten<br />
Körper. Sie hatte schlohweißes, langes Haar, das in verfilzten Strähnen von ihrem runzligen Schädel<br />
abstand. Zusammen mit ihren kleinen Augen und einer aristokratisch hervorspringenden Nase ergab<br />
der Kopf ein Bild, das Den unwillkürlich an einen hilflosen Igel denken ließ. Sie schien zu schlafen<br />
oder gar ohnmächtig zu sein. Daß sie dabei lächelte, war Den völlig unverständlich, denn sie war mit<br />
dicken Stricken fest an das Bettgestell gefesselt. Intuitiv begann er die schweren Knoten zu lösen, als<br />
die Frau erwachte und einen entsetzten Schrei losließ: „He! Was macht er da mit ihr?“ Den war<br />
erstaunt, gab ein unverständliches Brummeln zu hören, fuhr aber in seiner Beschäftigung fort. Die<br />
Frau schlug mit einer nun freien Faust auf seine Schulter ein: „Aufhören, sagte sie! Lasse er das<br />
gefälligst! Wärter! Helft ihr!“ Bei dem Ruf nach Wärtern drehten sich Aljuscha und Nurin, die vom<br />
Flur aus zugesehen hatten, gleichzeitig auf der Stelle um und flohen in ihre Zellen. Die Aufseher<br />
waren jedoch an Schreie gewöhnt, keine eiligen Schritte waren zu hören. Schwer schnaufend brachte<br />
Den sein Vorhaben zu Ende und warf die Taue mit einer letzten Anstrengung gegen die Wand. Dann<br />
knickten seine Beine ein. Stöhnend lehnte er sich an das Bett. Die Alte schob sich so weit wie<br />
möglich von ihm weg, zog die Beine an und hüllte sich bis zum Kinn in ihre Decke. Ihre Augen<br />
funkelten Den wütend an. „Kein Recht hatte er!“, kreischte sie und dann noch einmal leiser und fast<br />
weinerlich: „Kein Recht.“ - „Gefesselt ... kann Fesseln ... und Zwang ... nicht ausstehen ...“, schnaufte