Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Spiel - Thomas Peter Goergen<br />
Eine Frau.<br />
Eine Frau mit ernstem Angesicht. Und mit könglichem Gepräge.<br />
Wohl ihr Gefolge. Gesichtslos. Blau und leer, wie nichtgeboren. Aufgereiht.<br />
Kalt. Und mit grausamen Gesichtern, streng, und von härterem Blau, kaltes Angedenken.<br />
Reihe und Reihe, wie schon fast von der Kette gelassen.<br />
Und über allem - die Augen: schwarz, raubfischartig, ausdruckslose Lust.<br />
Kalt. Da war es wieder.<br />
Der Totengräber lehnte sich langsam zurück. Seine Miene war unbewegt, nur blinzelte er ein ums<br />
andere Mal; als er neben sich griff, um aus einer Schüssel auf der Anrichte einige farbige Zuckerstückchen<br />
zu angeln, zitterte die rechte Hand.<br />
Gegen Abend verließ er das Haus, die Kapuze tief in die Stirn gezogen, und eilte die breite Straße<br />
hinauf, die von seinem Haus nach Norden führte.<br />
Es war das Geheimnis des dritten Saalherren, wie es ihm gelang, noch zu dieser Jahreszeit ein<br />
derartiges Aufgebot an ibriscischen Seidenrosen aufzutreiben, um aus diesen zartduftenden Blüten mit<br />
dem mattbläulichen Schimmer schwindsüchtiger Lippen ein nahezu kathedralisches Gebinde zu<br />
fertigen, sogar drei davon, drei dieser kunstreich bestäubten Blumenwunder, um der maßlose Tafel im<br />
alten Saal des „Schillerndes Vogels“ eine eindrucksvoll-frühlingshafte Aura zu verleihen.<br />
Aber er wäre nicht der dritte Saalherren des ersten Hauses in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>, würde ihm, in dessen<br />
Obwalt ja gerade die hohe Bürde des Tafelschmuckes fiel, nicht dieses Kunststück gelingen.<br />
Und er würde eher sterben, als sein Geheimnis preiszugeben, wie er den staunenden Gästen an diesem<br />
Abend gleich mehrfach versichern durfte...<br />
„...bestand, frage ich Dich, eine wie auch immer geartete Notwendigkeit, darauf hinzuweisen, daß<br />
Seidenrosen im Osten vom gänzlichen Verschwinden bedroht sind...?“<br />
„Mutter, ich...“<br />
„...bedroht - was ist das überhaupt für ein Ausdruck - durch 'Mißbrauch als Tischputz'?“<br />
Torador blickte äußerst unglücklich auf die steile Falte auf der ansonsten makellosen Stirne seiner<br />
Mutter. Die Richterin im Augenblick maß ihren kleinen Sohn dagegen mit einem mißbilligendem<br />
Blick. Derartige Entgleisungen waren zwar selten, stellten sich indes unverhältnismäßig oft bei den<br />
Anlässen ein, die eine (sozusagen) gesteigerte gesellschaftliche Bedeutung besaßen. Ein (unseliges)<br />
Trefferglück hat der Junge ja, nicht ein, nicht zwei, nein, gleich drei Angehörige des Virates auf<br />
einmal, gewissermaßen das Schwarze der Scheibe, standen auf der Gästeliste. Mißbrauch als<br />
Tischputz...<br />
„... außerdem wurde es als - als Scherz? ja, als witziger Scherz ja aufgefaßt - der Herr Eborrie hat<br />
sogar - nunja, gelacht und...“ Torador fiel nicht auf, daß es ihm mittlerweile peinlicher war als es<br />
seiner Mutter jemals hätte sein können; sie zumindest brachte sein Redefluß wieder gedanklich zu den<br />
wesentlichen Dingen des Abends zurück, ihren Gästen, wohlverstanden: „Torador“, unterbrach sie<br />
somit, milde gestimmt, die wortreiche Abbitte ihres Sohnes,“ daß Eborrie - 'gelacht' hat, ist als<br />
strafmaßbegünstigender Umstand hiermit vermerkt. Geh´ nun bitte auf Deinen Platz!“, eine Weisung,<br />
die der Heiler nicht unerleichtert umgehend befolgte.<br />
Während die Richterin nun also das Kopfende der Tafel erreichte, dort in die angeregte Unterhaltung<br />
mit ihren („Beisitzern“, dachte Torador verdrossen) Tischnachbarn tauchte, beäugte ihr Sohn<br />
geistesabwesend die farbenprächtigen Darstellungen des weitläufigen Deckenmosaiks.<br />
In Gedanken war er weniger bei den geeisten Lerchenzungen, die just von dienernden Händen vor ihm<br />
zu Tische kamen, als bei den höchst bemerkenswerten Schreikrämpfen eines eigentlich an dauerndem<br />
Stumpfsinn leidenden Bäckermeisters - und bisweilen schob sich auch das eigenartige Bild der großen<br />
Melirae vor sein inwendig gekehrtes Auge - trotzdem ließ sich nicht vermeiden, die angemessene<br />
Höflichkeit gegenüber den Plaudereien einer für ihre geistvolle Unterhaltung bekannten Stadträtin an<br />
den Tag zu legen. Zumindest entging ihm auf diese Weise, aufgescheucht aus den wahren Dingen<br />
seines Interesses, nicht der seltsame Gast, den er kurz im Türrahmen zum Nebensaale bemerkte - mit<br />
einer hastigen Bewegung erhob er sich, bat die doch verwunderte Stadträtin um Verzeihung und<br />
verließ, den entgeisterten Blick seiner Mutter im Rücken, den Saal.<br />
Der Mann wehrte gerade einen Bediensteten, der sich darum drängte, ihm den schäbigen Kapuzenmantel<br />
abzunehmen, und wanderte auf einen kleinen, sehr versteckten Tisch in der hintersten Ecke