15.11.2012 Aufrufe

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die Erinnerung der „Nacht“ - Christel Scheja<br />

„Hör auf!“ sagte sie zitternd, beherrscht genug, um nicht zu schreien. Ein Wispern erklang dicht<br />

neben ihrem Ohr, ein Lachen an ihrer Seite. Der heftige Windstoß, der dem folgte riß die Nadeln aus<br />

ihrem Haar, so daß sie klirrend zu Boden fielen.<br />

Ailanth wirbelte herum, aber da war nichts - außer der Stille der Nacht. Ihre Rechte verkrampfte sich.<br />

Noch einmal versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen, das Gehörte und Gespürte zu verstehen. Für<br />

einem Moment sank sie in Trance.<br />

Dann schleuderte sie eine weitere Bö gegen die Bank. Ailanth blieb einen Augenblick auf der Seite<br />

liegen und starrte in den Himmel. Es war fast so, als würden die Sternbilder lebendig, und aus dem<br />

Himmel herabsteigen. Sie wandte ihren Blick wieder ab und rappelte sich auf, als sich ein Schemen<br />

an der Brüstung abzeichnete, ein Schaben von dort sie irritierte.<br />

„Rhysian!“ stieß die Mechanica besorgt aus. Sie hetzte die Treppen hinunter, ohne darauf zu achten,<br />

was hinter ihr geschah. Nur einmal hielt sie inne und betrachtete voller Schmerz ihren Arm, auf dem<br />

sich blutige Striemen abzeichneten. Oben klatschte und polterte es, aber sie hatte eine größere Sorge.<br />

Unsanft stieß sie die Tür zum Schlafraum ihrer Tochter auf. Nur schwach fiel das Licht durch einen<br />

Spalt zwischen den Vorhängen in das Zimmer. „Rhysian?“ Ailanth verstummte, um auf jeden Laut zu<br />

lauschen, doch außer einem ängstlichen Fauchen vernahm sie nichts. Langsam bewegte sie sich zum<br />

Fenster und zog die Vorhänge mit einer heftigen Bewegung zurück.<br />

Das Licht einer Feuerschale, die im Garten brannte fiel nun voll auf das Bett ihrer Tochter.<br />

Kreischend und fauchend richtete sich das Kätzchen, daß ihrer Tochter von einer der Dienerinnen<br />

geschenkt worden war auf, mit gesträubtem Fell buckelnd verbarg es seine Angst.<br />

Doch von Rhysian fehlte jede Spur. Die Decken waren zerwühlt, doch nicht so, als habe sie das Bett<br />

verlassen.<br />

„Jamiriel! Ashline! Mikari! Wo ist Rhysian - Helft mir, sie zu suchen!“ rief Ailanth, ohne sich von der<br />

Stelle zu rühren. Das Kätzchen fauchte noch einmal heftig. Im nächsten Augenblick sprang es hoch -<br />

doch es erreichte niemals sein Ziel. Mitten in der Luft wurde es aufgehalten.<br />

Sie atmete nur noch flach und verfolgte mit den Augen den Schatten, der sich schlangengleich über<br />

die weißen Decken bewegte, ausbreiteten und hob. Eine Gestalt formte sich aus, die das sträubende<br />

und zappelnde Kätzchen in ihren Händen hielt. Ailanth wich an die Wand zurück. An ihr Ohr drangen<br />

seltsame Geräusche, Wispern und Stöhnen, Rascheln und Knirschen. Ein Glockenspiel klingelte in<br />

der Ferne, und spielte eine altvertraute, aber schon lange nicht mehr vernommene Melodie. Der Duft<br />

von Jimere-Kuchen drang in ihre Nase, einer Süßigkeit, die sie in vergangenen Tagen eigenhändig für<br />

...<br />

Ailanth schüttelte den Kopf und kreuzte die Arme vor der Brust, formte das Sonnenrad mit den<br />

Fingern, um sich zu schützen und zu beruhigen - aber sie wußte nicht, ob es überhaupt half. Plötzlich<br />

spürte sie mit jeder Faser den Hauch einer Wesenheit, die ihr Verständnis überstieg. Ein Sturm, der<br />

nicht wirklich war umtoste sie und drohte sie von den Füßen zu reißen, heißer Atem trocknete ihre<br />

Haut, Eisnadeln zerstachen sie, Winde zerrten an ihren Verstand, ihrem Geist. Nur einmal spürte sie<br />

eine vertraute Aura in ihrer Nähe, streckte eine unsichtbare Hand aus und hielt diese fest, ehe sie<br />

davon gerissen werden konnte.<br />

Dann durchpulste sie heftiger Schmerz. Eisige Krallen fuhren über ihren Rücken. Ailanth schrie auf<br />

und sank in die Knie. Ihre Hände krallten sich in das Holz des Fußbodens - und entkrampften sich<br />

wieder, als die Bedrohung so schnell wich, wie sie gekommen war.<br />

Sie hörte jetzt nur noch ihren eigenen, stoßweisen Atem, dann ein Knacken und ein Platschen.<br />

Im nächsten Augenblick stützten sie kräftige Hände. Die Gelehrte wollte sich zuerst wehren, doch<br />

dann schaute sie sie erstaunt auf und rang nach Luft. Ein junger Mann mit rötlich-silbernem Haar hielt<br />

sie. „Mirtanh?“ wisperte sie ungläubig. „Mirthanh!“<br />

Er half ihr auf die Beine. Kaum hatte Ailanth wieder festen Halt, löste sie sich aus seinem Griff und<br />

wich an die Wand zurück. „Du kannst es nicht sein - du bist tot!“ wehrte sie schwach ab und starrte<br />

ihn an.<br />

Widersprüchliche Gefühle kämpften in ihrem Inneren um die Oberhand. Ihr Verstand riet ihr, so<br />

schnell wie möglich zu verschwinden, als ihr Blick wie zufällig auf das Kätzchen fiel, daß seltsam<br />

verkrümmt und mit zuckenden Vorderläufen auf dem Boden lag. Einen Moment erinnerte sie sich an<br />

zarte Finger, die einen Vogel umklammerten. Doch ihr Herz freute sich, den verlorenen Gefährten<br />

wiedergefunden zu haben.<br />

Er blickte sie traurig an. Seine blaugoldenen Augen schimmerten im schwachen Licht der Feuerschale<br />

fragend, als er seine Hand ausstreckte. „Ich bin Mirtanh. Dies ist eine Nacht, die Cherindrasta uns

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!