Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Die Erinnerung der „Nacht“ - Christel Scheja<br />
„Hör auf!“ sagte sie zitternd, beherrscht genug, um nicht zu schreien. Ein Wispern erklang dicht<br />
neben ihrem Ohr, ein Lachen an ihrer Seite. Der heftige Windstoß, der dem folgte riß die Nadeln aus<br />
ihrem Haar, so daß sie klirrend zu Boden fielen.<br />
Ailanth wirbelte herum, aber da war nichts - außer der Stille der Nacht. Ihre Rechte verkrampfte sich.<br />
Noch einmal versuchte sie ihre Gedanken zu ordnen, das Gehörte und Gespürte zu verstehen. Für<br />
einem Moment sank sie in Trance.<br />
Dann schleuderte sie eine weitere Bö gegen die Bank. Ailanth blieb einen Augenblick auf der Seite<br />
liegen und starrte in den Himmel. Es war fast so, als würden die Sternbilder lebendig, und aus dem<br />
Himmel herabsteigen. Sie wandte ihren Blick wieder ab und rappelte sich auf, als sich ein Schemen<br />
an der Brüstung abzeichnete, ein Schaben von dort sie irritierte.<br />
„Rhysian!“ stieß die Mechanica besorgt aus. Sie hetzte die Treppen hinunter, ohne darauf zu achten,<br />
was hinter ihr geschah. Nur einmal hielt sie inne und betrachtete voller Schmerz ihren Arm, auf dem<br />
sich blutige Striemen abzeichneten. Oben klatschte und polterte es, aber sie hatte eine größere Sorge.<br />
Unsanft stieß sie die Tür zum Schlafraum ihrer Tochter auf. Nur schwach fiel das Licht durch einen<br />
Spalt zwischen den Vorhängen in das Zimmer. „Rhysian?“ Ailanth verstummte, um auf jeden Laut zu<br />
lauschen, doch außer einem ängstlichen Fauchen vernahm sie nichts. Langsam bewegte sie sich zum<br />
Fenster und zog die Vorhänge mit einer heftigen Bewegung zurück.<br />
Das Licht einer Feuerschale, die im Garten brannte fiel nun voll auf das Bett ihrer Tochter.<br />
Kreischend und fauchend richtete sich das Kätzchen, daß ihrer Tochter von einer der Dienerinnen<br />
geschenkt worden war auf, mit gesträubtem Fell buckelnd verbarg es seine Angst.<br />
Doch von Rhysian fehlte jede Spur. Die Decken waren zerwühlt, doch nicht so, als habe sie das Bett<br />
verlassen.<br />
„Jamiriel! Ashline! Mikari! Wo ist Rhysian - Helft mir, sie zu suchen!“ rief Ailanth, ohne sich von der<br />
Stelle zu rühren. Das Kätzchen fauchte noch einmal heftig. Im nächsten Augenblick sprang es hoch -<br />
doch es erreichte niemals sein Ziel. Mitten in der Luft wurde es aufgehalten.<br />
Sie atmete nur noch flach und verfolgte mit den Augen den Schatten, der sich schlangengleich über<br />
die weißen Decken bewegte, ausbreiteten und hob. Eine Gestalt formte sich aus, die das sträubende<br />
und zappelnde Kätzchen in ihren Händen hielt. Ailanth wich an die Wand zurück. An ihr Ohr drangen<br />
seltsame Geräusche, Wispern und Stöhnen, Rascheln und Knirschen. Ein Glockenspiel klingelte in<br />
der Ferne, und spielte eine altvertraute, aber schon lange nicht mehr vernommene Melodie. Der Duft<br />
von Jimere-Kuchen drang in ihre Nase, einer Süßigkeit, die sie in vergangenen Tagen eigenhändig für<br />
...<br />
Ailanth schüttelte den Kopf und kreuzte die Arme vor der Brust, formte das Sonnenrad mit den<br />
Fingern, um sich zu schützen und zu beruhigen - aber sie wußte nicht, ob es überhaupt half. Plötzlich<br />
spürte sie mit jeder Faser den Hauch einer Wesenheit, die ihr Verständnis überstieg. Ein Sturm, der<br />
nicht wirklich war umtoste sie und drohte sie von den Füßen zu reißen, heißer Atem trocknete ihre<br />
Haut, Eisnadeln zerstachen sie, Winde zerrten an ihren Verstand, ihrem Geist. Nur einmal spürte sie<br />
eine vertraute Aura in ihrer Nähe, streckte eine unsichtbare Hand aus und hielt diese fest, ehe sie<br />
davon gerissen werden konnte.<br />
Dann durchpulste sie heftiger Schmerz. Eisige Krallen fuhren über ihren Rücken. Ailanth schrie auf<br />
und sank in die Knie. Ihre Hände krallten sich in das Holz des Fußbodens - und entkrampften sich<br />
wieder, als die Bedrohung so schnell wich, wie sie gekommen war.<br />
Sie hörte jetzt nur noch ihren eigenen, stoßweisen Atem, dann ein Knacken und ein Platschen.<br />
Im nächsten Augenblick stützten sie kräftige Hände. Die Gelehrte wollte sich zuerst wehren, doch<br />
dann schaute sie sie erstaunt auf und rang nach Luft. Ein junger Mann mit rötlich-silbernem Haar hielt<br />
sie. „Mirtanh?“ wisperte sie ungläubig. „Mirthanh!“<br />
Er half ihr auf die Beine. Kaum hatte Ailanth wieder festen Halt, löste sie sich aus seinem Griff und<br />
wich an die Wand zurück. „Du kannst es nicht sein - du bist tot!“ wehrte sie schwach ab und starrte<br />
ihn an.<br />
Widersprüchliche Gefühle kämpften in ihrem Inneren um die Oberhand. Ihr Verstand riet ihr, so<br />
schnell wie möglich zu verschwinden, als ihr Blick wie zufällig auf das Kätzchen fiel, daß seltsam<br />
verkrümmt und mit zuckenden Vorderläufen auf dem Boden lag. Einen Moment erinnerte sie sich an<br />
zarte Finger, die einen Vogel umklammerten. Doch ihr Herz freute sich, den verlorenen Gefährten<br />
wiedergefunden zu haben.<br />
Er blickte sie traurig an. Seine blaugoldenen Augen schimmerten im schwachen Licht der Feuerschale<br />
fragend, als er seine Hand ausstreckte. „Ich bin Mirtanh. Dies ist eine Nacht, die Cherindrasta uns