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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Erkenntnis - Thomas Peter Goergen<br />

zueinander setzten. Und einige der mathematischen Bindeglieder kamen dem Sammler eigentümlich<br />

bekannt vor; er konnte nur nicht sagen, wieso. Es war ihm, als könnte er bereits aus diesen Chiffren<br />

das Ziel der Berechnungen herauslesen... Alte, beunruhigende Erinnerungen wurden geweckt...<br />

Eine Weile besah sich Lanungo grübelnd die bösartigen Zeichen und Symbole, mit einem<br />

unterbewußt schlechten Geschmack im Munde. Schließlich entnahm er seinem Beutel einige<br />

glänzende Pergamente, die er mit geübten Handgriffen auf die Seiten der Geheimkladde legte, darüber<br />

strich, so daß er eine dünne Abschrift des ganzen erhielt... Kurz zögerte er. Sein Eindringen konnte<br />

kaum unbemerkt geblieben sein. Ursprünglich war er davon ausgegangen, durch einige Luftschächte<br />

in den Tempel zu gelangen, allein, irgendwann stimmten seine Karten nicht mehr, denn die letzten<br />

Schächte hatte er zugeziegelt gefunden. Er hatte sie durchbrechen müssen... Nun, wenn sie eh wußte,<br />

daß er hier gewesen war, konnte er sich diese rücksichtsvolle Geheimniskrämerei auch sparen. Er<br />

packte alle Papier zusammen und verstaute sie in seinem Beutel. Das leere Fach verschloß er aber<br />

wieder.<br />

Als bald darauf einige Bewaffnete sich dem Zimmer nahten, einige Gestalten in wehenden, blauen<br />

Kutten fieberhaft die Räume durchspähten, fanden sie niemanden mehr.<br />

„Erleuchteter...“<br />

„Niemand? Ihr habt niemanden gefunden??“ Die bernsteinfarbenen Augen glühten in dem falben<br />

Antlitz des Oberpriesters. Die Priester schüttelten nur stumm den Kopf.<br />

Der Abden zitterte vor Zorn. Das war noch nie dagewesen! Ein Eindringling! Ein Frevler hat sich<br />

Zutritt verschafft zum Tempel des Selefra und womöglich - denn er konnte sich nur allzu gut<br />

vorstellen, wer das war und was jener gesucht hatte - auch noch zu seinen jedem verbotenen Gemach!<br />

Er fuhr bebend herum, als ein weiterer Adept sich scheu heranschlich: „Was denn noch? Habt ihr<br />

ihn“, fauchte er, allerdings ohne große Hoffnung auf eine gute Kunde, und so war es auch - die<br />

Brückenposten sind verschwunden... Der Abden ergriff einen amethystenen Pokal von nahezu<br />

unschätzbarem Wert, um ihn nach dem Unglücksboten zu schleudern: „Du Affe“, schrie er, als die<br />

Splitter schon umhersprangen, „die Schlucht hat sie gefressen!!“<br />

Er zuckte leicht zusammen, als hätte man ihn geschlagen, und wandte sich ab, daß keiner sähe, wie er<br />

sich in den Finger bis aufs Blut biß: „Er - war hier!“ flüsterte er grimmig und bleich. Ein Viertel nach<br />

der zweiten Stunde nach Mitternacht...<br />

Lanungo trat aus der Arena. Die Nacht war kühl und windig, der Mond wie ein kahler, geschnitzter<br />

Knochen am Firmament. Der Sammler warf noch einen Blick zurück, dorthin, woher er gekommen<br />

war, den steinernen Rund, der den Tod echote. Dann verschwand er in der Dunkelheit.<br />

Der fahrende Zug erreicht den südlichen Rand des Rattenlochs. Nur die Männer auf den<br />

Kutschböcken waren noch zu sehen, oder vielmehr das Glimmen ihrer Pfeifen, ansonsten war alles<br />

still bis auf das feine Bimmeln der bunten Schellen. Die Familien schliefen ruhig in den nächtlichgrauen<br />

Wagen. Die ersten Häuser wuchsen hervor.<br />

Plötzlich und auf einem heiseren Befehl ruckte der erste Wagen, hielt an; die nachfolgenden<br />

verlangsamten auch, kamen zum Stillstand - auf der Straße stand ein Mann und sah den Fahrenden<br />

entgegen. Er war in einen dunklen Mantel gehüllt, eine Kapuze tief in die Stirne gezogen. Er stand<br />

regungslos und schien zu warten. Ein Weile lang herrschte Stille; von den hinteren Wagen stieg einer<br />

ab, man hörte seine Stiefel im Kies knirschen. Der erste Kutscher beugte sich vor, rief mit gedämpfter<br />

Stimme: „Was wollt Ihr, Herr? Warum gebt Ihr nicht den Weg frei?“<br />

Langsam trat der Mann vor. Als er neben dem Bock anlangte, schlug er die Kapuze zurück, und im<br />

rot-gelben Lichte der Wagenlaternen leuchtete die weiße Strähne, die sich in sein dichtes Haar<br />

gewoben hatte, wie ein Streifen Mondlicht. Er sah lange zum Kutscher auf, warf dann einen<br />

Seitenblick zu den Männern, die von hinten näher kamen.<br />

„Der Totengräber“, flüsterte einer, und der Kutscher berührte schon sein silbernes Amulett - da<br />

vernahmen alle, wie der Fremde sprach: „Kehrt um! Kehrt um, um der Barmherzigkeit willen!“ Dann,<br />

wie einer, der alles gesagt hatte, was es zu sagen gab, wandte er sich rasch ab, aber zum langsamen<br />

Gehen.<br />

Die Fahrenden stierten ihm hinterher: „Aber warum...?“, faßte sich der erste Kutscher ein Herz,<br />

obwohl seine hellgrünen Augen furchtgeweitet waren - konnte es nicht sein, daß dieser Mann Flüche

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