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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Stiefkinder des Schöpfung I: Die vier Jahreszeiten - Marc Rösel<br />

Meine schlechten Träume sind wiedergekehrt. Ailanths Pulver wirkt nicht mehr. Im Wachen wie im<br />

Schlafen bin ich in steter Unruhe, gehetzt blicke ich über meine Schulter,<br />

ob mir nicht jemand folgt, beäuge mißtrauisch mein Umfeld. Aber, bei Atuasi, ich habe auch allen<br />

Grund für mein Mißtrauen! Ich lebe mit einem blutrünstigen Mörder unter einem Dach, mit einem<br />

Geistesgestörten (und wir alle wissen, daß solche Menschen zu Gewalttätigkeit neigen, manchmal aus<br />

einem Impuls heraus oder weil sie sich bedroht fühlen, andere Leute umbríngen!), und wer weiß,<br />

welche Rituale Penhaligon früher durchführte, bevor er sein Antiquariat eröffnete! Man denke nur an<br />

die Greueltaten von Sariel Mizgar. Was, wenn auch Penhaligon ein Diener Selefras war? Oder<br />

vielleicht ist er es immer noch, vielleicht tut er nur so, als hätte er sich zur Ruhe gesetzt... Natürlich,<br />

ich bin überspannt, übervorsichtig (in der letzten Zeit trage ich immer meinen Rapier bei mir, habe ich<br />

das schon gesagt?, auch wenn ich nur spazieren gehe, und auch - gerade dann! - wenn ich mich mit<br />

dem Gelichter, welches mit mir in der Pension zusammenlebt, zum Abendtisch begebe), aber<br />

vielleicht wäre ich bereits tot, von Radegast ermordet, um mein Blut fließen zu sehen, von Yalno<br />

geschändet und danach bei lebendigem Leib aufgefressen (ich hörte schon von Schwachsinnigen, die<br />

zu Kannibalismus neigen!), von Penhaligon Selefra geopfert, wenn ich nicht so vorsichtig wäre. Man<br />

kann nie vorsichtig genug sein. Mich kriegen sie nicht!<br />

37. Oberring<br />

Die anderen Pensionsgäste, sie blicken mich manchmal so seltsam an, unterhalten sich flüsternd hinter<br />

meinem Rücken. Manchmal verebbt das Gespräch, wenn ich den Salon betrete. Ich gewinne mehr und<br />

mehr den Eindruck, daß sie etwas vor mir verbergen wollen. Shivistri und die sanfte Eolyn sind die<br />

einzigen, denen ich noch Vertrauen schenke.<br />

Ich träumte heute nacht davon, daß der verrückte Yalno Feheli, dieser erwachsene Mann mit dem<br />

Geist eines Kindes (aber hat er auch die Bedürfnisse eines Kindes, oder nicht vielmehr die eines<br />

erwachsenen Mannes?) mich vergewaltigen würde. Schreiend und schweißgebadet schreckte ich aus<br />

dem Bett. Ich kleidete mich sofort an, nachdem ich mich einigermaßen beruhigt hatte, und klopfte an<br />

die Wohnungstür dieses unverantwortlichen Ehepaares, die ihren geisteskranken Sohn unbeaufsichtigt<br />

herumlaufen lassen, um ihnen davon zu erzählen, was ihr bestialischer Sohn mir angetan hatte. Sie<br />

versuchten mich zu beruhigen, versicherten mir, daß Yalno völlig harmlos sei, aber ich weiß es<br />

besser, ich weiß, was diese Bestie mir angetan hat! Xelesia Feheli wies mich darauf hin, daß ich nur<br />

geträumt hätte, doch ich erkannte natürlich sogleich, daß sich die Mutter nur schützend vor ihren<br />

Sohn stellte. Typisch, Mütter verzeihen ihren Kindern alles, selbst einen Mord! Ich ging Xelesia<br />

Feheli an die Kehle. Ihr Gemahl, Absidian, stellte sich dazwischen. Ich schlug ihn zu Boden. Dann<br />

verrauchte meine Wut, so rasch, wie sie gekommen war. Ich ging zurück in meine Wohnung, doch<br />

nicht, ohne Xelesia und Absidian Feheli vorher zu warnen. Beim nächsten Mal würde ich ihren<br />

geisteskranken Sohn mit meinem Rapier aufspießen wie einen Schmetterling. Danach konnte ich tief<br />

und traumlos schlafen, den Griff meiner Waffe fest in der Hand.<br />

38. Oberring<br />

Träume, Träume, einer schrecklicher als der andere! Ich sehne mich in die Zeiten zurück, da ich mit<br />

dem Erwachen meinen Nachtmahr vergaß, nur wußte, daß ich schlecht geschlafen und schlimm<br />

geträumt hatte. Jetzt erinnere ich mich an jeden einzelnen Alptraum, und es ist mir, als könnte ich nur<br />

noch schreien und nie mehr damit aufhören. Ich hielt ein Kindlein in Armen und säugte es an meiner<br />

Brust, ich liebte das Baby inniglich, denn es war mein eigenes - doch dann wuchsen ihm Zähne und<br />

Klauen, und es zerfetzte mich und verschlang mein Fleisch!<br />

Selbst hiernach war mir kein Erwachen vergönnt, vielmehr stürzte ich in einen neuerlichen<br />

Nachtmahr, in dem die schattenhaften Gestalten meiner toten Mutter und der toten Denim Atuasi,<br />

Heilsbringerin der Taominoi, düster und bedrohlich auf mich zukamen. Jeden Augenblick erwartete<br />

ich, auch sie würden sich in Monster verwandeln, doch dann verblaßten sie einfach und<br />

verschwanden. Und ich konnte endlich erwachen.<br />

39. Oberring<br />

Als ich gestern abend aus dem Internat zurückkam, sah ich eine mir vertraute Person, die mich im<br />

Salon erwartete. Für einen Augenblick war ich versucht, ins Zimmer zu stürmen und sie in liebevoller<br />

Umarmung zu umschlingen, denn es war Yesil, die Tochter des multorischen Imperators und eine<br />

meiner engsten Freundinnen. Doch dann entsann ich mich des Traumes der vergangenen Nacht. Ein

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