15.11.2012 Aufrufe

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Bergpredigt - <strong>André</strong> <strong>Wiesler</strong><br />

nahm eine Hand voll Steine auf und drückte. Er holt tief Luft und blies seinen heißen Atem in seine<br />

geschlossenen Hände. Als er sie wieder öffnete, lagen ein Haufen kleiner, durchscheinender<br />

Diamanten auf der alten, braunen Haut seines jetzigen Körpers. Er lächelte zufrieden und machte sich<br />

auf um sich ein weiteres Mal von den Eigenheiten der Menschen amüsieren und verblüffen zu lassen.<br />

Corwin blickte auf und schüttelte gleich noch einmal den Kopf. Oh man, einer seiner Weine mußte<br />

schlecht gewesen sein. Die ganze Straße drohte in sich zusammenzubrechen, wenn sie sich weiter so<br />

drehte. Was war es noch gleich gewesen, was er machen wollte? Naja, egal, erstmal würde er sich<br />

hinsetzen, ja das war eine gute Idee!<br />

Der Bergmeister blickte schmunzelnd zu der schlaksigen Gestalt des Corwin Dery, auch Sell oder<br />

Bucha genannt hinüber. Er war betrunken. Das war etwas, daß er auch bald versuchen mußte. Sich<br />

betrinken, bis die Sinne schwinden... Wie das wohl wäre. Aber jetzt erst mal etwas anderes: „Hier<br />

Corwin, ich gebe Euch ein paar Diamanten, dafür nehme ich mit aus Eurer Innentasche einen der<br />

falschen Passierscheine!“<br />

Corwin blickte erstaunt auf: „Woher wußtscht Du dasch mit´n Scheinen, Alterschen?“<br />

Der Bergmeister lächelte noch ein wenig breiter. Natürlich, für den guten Sell mußte das ja wie ihre<br />

erste Begegnung wirken, diesen Leib hatte er ja noch nie gesehen...<br />

„Wir hatten schon miteinander zu tun!“, nickte er beruhigend.<br />

„Oh, ham wir dasch?“ die Stimme des jungen Mannes war schwer vom Alkohol und trotzdem konnte<br />

der Bergmeister ein starkes Mißtrauen heraushören.<br />

Corwin rülpste noch einmal leise, dann sank sein Kopf auf seine Brust. Er holte tief Luft, setzte zu<br />

einem lauten Schnarchen an... und war verschwunden!<br />

Der Bergmeister blinzelte überrascht und blickte sich um. Sofort bemerkte er, daß etwas nicht<br />

stimmte. Er sollte das warme Kribbeln spüren, daß den Aufgang der Sonne ankündigte. Statt dessen<br />

war ihm kalt, seine Haut wurde rauh und seine Härchen richteten sich auf. Da war etwas... lebendiges<br />

in der Luft. Die Dunkelheit war nicht länger nur die Abwesenheit von Licht. Lange, dunkle Fasern<br />

schienen sich in der Schwärze zu bewegen, zuckend wie Würmer, immer ganz knapp außerhalb der<br />

Sicht des Beobachters, aber trotzdem unverkennbar da und wartend, daß sich ein Leichtfertiger in ihre<br />

Nähe begab. Ein fauler Wind schien aufgekommen zu sein und trieb einen Geruch wie von<br />

Verwesung und Tod in die Nase des erstaunten Bergmeisters. Er hatte keine Angst, so konnte man das<br />

nicht nennen. Er war eher- Bestätigung. Was gerade passierte deckte sich genau mit dem was er<br />

unbewußt erwartet hatte. Diese Nacht war nicht wie die anderen und eine innere Sicherheit überfiel<br />

ihn: Sie würde niemals enden.<br />

Der Bergmeister horchte in sich hinein. Die Stimme der Kraft hatte ihren Ton verändert. Sie sang nun<br />

laut und angestrengt, als würde sie alles geben müssen und gleichzeitig wurde sie nicht verbraucht,<br />

nur... geändert.<br />

Es gab nur ein Wesen, daß dazu in der Lage war. Der Bergmeister schob sein Kinn nach vorne, neigte<br />

den Oberkörper nach vorne und stapfte zielstrebig auf die Spalte zu. Entschlossenheit- auch so ein<br />

Gefühl, daß sehr viel Spaß machte.<br />

Der Boden der Spalte war wie immer mit Nebel bedeckt. Es schien, als wollte sich der Boden der<br />

Spalte, beschämt über den Unrat und die Leichen, die sich im Laufe der Zeit hier angesammelt hatten,<br />

in ein reines Laken aus weißem Nebel kleiden. Es wurde Zeit, daß ein ordentlicher Regenguß die<br />

Abfälle und Abwässer aus der Spalte herausschwemmte.<br />

Der Bergmeister lief am Rand der Spalte entlang und fand wenig später, was er gesucht hatte: Eine<br />

dichte Nebelwand, durch die man nur ungefähr ein Gebäude erkennen konnte, wenn man mußte, auf<br />

was man zu achten hatte. Unter dieser dichten Wolke befand sich ein Schloß von erlesener Schönheit,<br />

so wie seine Bewohnerin und ebenso ungesehen wie sie für die meisten Menschen unerreichbar<br />

verborgen. Und das war gut so, denn die Herrin des Schlosses war ebenso falsch wie anmutig.<br />

Der Bergmeister verharrte nur kurz, um den Kopf ein wenig schief zu legen und auf die Geräusche der<br />

Nacht zu lauschen. Doch es waren nicht die Nachtvögel, die Ratten und die Fledermäuse, die er hörte.<br />

Es war ein seltsamer Singsang ohne Wort, aber von unheimlicher Melodie. Der Bergmeister schüttelte<br />

sich. Ob Marianette wußte, was sie da gerufen hatte?<br />

Der lange Saal hatte sich verändert, seit der Bergmeister das letzte Mal hier gewesen war. Wie lang<br />

war das jetzt nur schon her? Wenn er doch nur endlich so etwas wie Zeit erfahren könnte. Natürlich<br />

war alles eine Folge von Dingen, aber wie legte man dafür Einheiten fest? Mal brauchte doch ein

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!