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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Das Bekenntnis - <strong>André</strong> <strong>Wiesler</strong><br />

vorsichtiger als jemals zuvor in meinem Leben und zu dem körperlichen Hochgenuß gesellte sich die<br />

Gewißheit, ein junges Leben seinem wahren, vorbestimmten Schicksal zugeführt zu haben. Es war so<br />

voller Liebe, wahrer und uneigennütziger Liebe, wie niemals eine Vereinigung vorher.<br />

Doch grausames Spiel der Sinne. Meine Liebe hatte mich Bilder sehen lassen, die nicht der Wahrheit<br />

entsprachen. Welch ein Schrecken, als mein Blick sich klärte und ich sie vor mir sah. Die Augen<br />

hervorgetreten, der Blick gebrochen. Die Zunge ein Stück herausgeschoben in verzweifelten Versuch<br />

Luft zu schnappen, und ihre Hände, kalt und kraftlos nun, aber noch immer meine Hände<br />

umklammernd, meine Hände, die Krallen gleich um ihren Hals lagen. In meiner spirituellen, von den<br />

Göttern inspirierten Ekstase hatte ich meiner Geliebten das Leben genommen. Voller Entsetzen ließ<br />

ich ihren Körper zu Boden gleiten. Sie hatte sich niemals mir hingegeben, hatte mich erneut von sich<br />

gewiesen. Sie hatte mich sogar gebissen, Blut lief von meinen Lippen. War es da nicht nur<br />

verständlich, daß die Götter durch mich, ihr Leben beendeten? War es keine gerechte Strafe für ihre<br />

Verfehlung die wahre Liebe, das größte Gebot der Götter anzuerkennen?<br />

Nein! Nein! Ihr grausamen Stimmen des Windes. Wie um mich an meine Schuld zu erinnern braust<br />

ihr auf, heult grausamer denn je. Ihr singt von dem Mord meiner Hände. Wenn auch begangen um<br />

das Gesetz der Götter zu ehren, ist es doch eine Sünde ohne gleichen.<br />

Doch auch die grausigen Stimmen dieser niemals endenden Nacht werden mich nicht daran hindern<br />

meine Geschichte zu vollenden, bevor das Gift mein Lebenslicht auslöschen wird.<br />

Als ob mein Leid nicht schon groß genug war, hatten die Götter sich entschlossen mir noch mehr Pein<br />

aufzuladen. Der Tag des 25. Talu war vergangen, die Nacht brach herein und sollte nicht mehr enden.<br />

Ich war spät zu Bett gegangen und schlief tief und fest. Als ich ausgeruht erwachte, nach meinem<br />

Gefühl mußte es schon später Morgen sein, empfing mich ein weiterer Schrecken. Es war noch tiefste<br />

Nacht, durch keinen der Schlitze unseres Hauses drang Licht, und doch waren die Lager meiner<br />

Familie verlassen. Erschreckt richtete ich mich auf, durchsuchte das Haus, doch es gab keine Spur von<br />

ihnen. Alles war wie am Abend, da ich spät das Licht gelöscht hatte und nur eine Kerze brennen ließ.<br />

Die Spuren ihres Wachses hingen einem gefrorenen See gleich auf meinem kleinen Nachttisch. Ich<br />

wähnte mich entdeckt, befürchtete, daß meine Frau von meiner anderen Liebe wüßte. War sie auch<br />

eine treue, liebenswerte und gottgefällige Frau, so hätte sie meine heilige Aufgabe doch nie<br />

verstanden. Ich befürchtete, sie hätte mich verlassen, aber all ihre Sachen waren noch, sogar ihre<br />

Kleider lagen noch über den Stuhl geordnet. Wenn sie gegangen waren, so mußten sie es im<br />

Nachtgewandt getan haben.<br />

Ich entzündete eine neue Kerze und sann nach. Ich wollte auf den Anbruch des Tages warten, um<br />

dann nach ihnen Ausschau zu halten. Vielleicht war eines der Kinder krank geworden und man war zu<br />

Sarjana geeilt? Aber nein, dann hätte man mich geweckt. Ich dachte nach, grübelte. Während ich dort<br />

saß und überlegte, erlosch das Licht. Erstaunt blickte ich auf. Es war kein Luftzug gewesen, der die<br />

Kerze ausgeblasen hatte, sie war heruntergebrannt. Ich war erstaunt, denn Kerzen dieser Länge<br />

brannten normalerweise im Mindesten eine halbe Nacht. Es mußte also bereits diese Spanne Zeit<br />

vergangen sein, und doch zeigte sich noch immer kein Lichtstreif. Der Tag sollte längst angebrochen<br />

sein, die Sonne ihr sattes, wenn auch schwächer werdendes Licht über <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> ergießen und<br />

beide Stadtteile ohne Unterschied beleuchten. Doch statt dessen herrschte undurchdringliche<br />

Dunkelheit am Firmament. Erst jetzt wurden mir die klagenden Stimmen bewußt, die draußen heulten,<br />

und bis zu diesem Augenblick nicht damit aufhören. Sie klingen wie die Schreie, die man aus der<br />

Lyzeum des verwirrten Geistes manchmal vernimmt, langgezogener, doch nicht weniger irr. Sie<br />

lassen kalte Schauer über die Haut laufen.<br />

Von unnatürlicher Unruhe gepackt lief ich zum Fenster und blickte hinaus. Nebel wallte an mir<br />

vorbei, getrieben in eine Richtung obwohl es völlig windstill war. Die unmenschlichen,<br />

gotteslästerlichen Stimmen rissen nicht ab. Sie schienen aus dem Nebel zu klingen, obwohl man keine<br />

Richtung ausmachen konnte. Die Kehlen, die solche Laute auszustoßen in der Lage sind, müssen Teil<br />

mißgestalteter Wesenheiten sein, die nicht auf Nontariell wandern sollten.<br />

Ich faßte einen Entschluß: Meine Familie war irgendwo dort draußen und ich würde sie finden, möge<br />

es kosten, was es wolle. Ich verließ das Haus, nahm im zweiten Gedanken ein großes Messer aus der<br />

Küche mit und wandte mich nach Westen. Der Nebel verschluckte mich sofort, kaum konnte ich die<br />

Häuser zu meinen Seiten erkennen. Immer wieder hatte ich das sichere Gefühl verfolgt zu werden,<br />

immer wieder blickte ich mich unruhig, voll Angst über die Schulter um. Plötzlich, als ich die<br />

Dunkelheit hinter mir zu durchdringen suchte, stieß ich gegen etwas, das bei diesem Zusammenstoß<br />

leicht nachgab. Ich wirbelte herum und da stand er, mein Richter, der Gesandte der Götter. Seine Haut

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