Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Erkenntnis - Thomas Peter Goergen<br />
Tür und Lanungo trat, keine zwei Stunden nach Mitte der Nacht, ins verbotene Zimmer, den<br />
Arbeitsraum des Abden und obersten Priesters des Selefra.<br />
Im Innern des Raumes herrschte eine finstere Ruhe, durchlauert von vielen merkwürdigen Lauten und<br />
Geräuschen, vor denen Kinder des Nachts zu ihren Eltern flüchten. Ein Blubbern und Zetern, Stimmchen<br />
von stimmlosen, vielflügligen Wesen: Lanungo ließ die Türe hinter sich zugleiten. Vorsichtig,<br />
aber nicht zögernd bewegte er sich durch das Zimmer, sorgsam darauf achtend, daß er nicht gegen<br />
eine der zahlreichen Truhen, Tische und Gefäße stieß, die überall umherstanden wie in einem<br />
Trödelladen. Da einzige Lichtquelle dieses Raumes nur das mäßige Lohen eines großen Athanors war,<br />
der wie der Globus einer unbekannten Hölle in einer Nische stand, bediente sich Lanungo seiner<br />
Abblendlampe, daraus ein mit Kupferfäden übersponnener Kristall gleichmäßiges Licht verbreitete.<br />
Im Schein seiner Lampe forschte der Sammler weiter durch die Kammer, der seltsamen und<br />
schlimmen Dinge nicht achtend, die überall umherlagerten: die schweißbedeckten Wachspuppen, teils<br />
mannsgroß, durch deren fahle Hülle steigende Säfte sichtbar wurden - die Mosaike aus einer Unzahl<br />
an Knöchelein, welche die menschliche Gestalt, die sie nachbildeten, durch das Odium des Todes<br />
verhöhnten - die großen Kolben und Glasbehälter, gefüllt mit giftigem Gallert, bargen sie alle<br />
Entwicklungsstufen menschlicher Geburt - eine besondere Kostbarkeit war eine Reihe schwerer<br />
Käfige, mit Kreidestrichen übersäht, darin fanden sich Hühnereier in der brütenden Umarmung von<br />
Nattern und Vipern; einige waren auch schon ausgeschlüpft und waren, nach Verschlingen ihrer<br />
Pflegemutter, zu jenen grauenvollen Untieren geworden, deren Gestank die Stärksten schwindeln<br />
macht und deren Anblick alles Lebende zu Stein erstarren läßt. Lanungo tat gut daran, die Basilisken<br />
nicht zu betrachten, auch wenn sie nach ihm geiferten und zischten; denn obwohl er nicht das tödliche<br />
Schicksal der Baldsterblichen geteilt hätte, wäre er womöglich doch erkrankt, so stark und übel war<br />
der Zauber dieser Ungeheuer.<br />
Aber Lanungo suchte nicht nach nach diesen Dingen, die jedem nicht gänzlich verdorbenen Menschen<br />
ein Greul gewesen wären. Er durchstöberte den altarartigen Schreibtisch am Kopfende des Gemachs.<br />
Die Unterlagen des Abden wären, soviel stand bald fest, ein Vermögen wert gewesen, hätte er sie auf<br />
dem Schwarzmarkte feilgeboten. Allerdings war für Lanungo belanglos, wer von Rang und Nahmen<br />
wie, auf welche Weise sich mit dem Tempel verstrickt hatte, wieviel Macht und Gold die Jünger<br />
Selefras aus <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> sich auf vielfältige Weise kelterten. Die schwarzmagischen Versuche des<br />
Abden erregten schon eher seine Aufmerksamkeit, indes - die Anstrengungen, die dieser Priester<br />
unternahm, Unsterblichkeit zu erlangen, die Schaffung belebter Statuen, Beherrschung von Wiedergängern,<br />
Ghulen und Fetaks (Lanungo schnob mit grimmiger Heiterkeit durch die Nase)...<br />
Doch da! Was ist das - ein Geheimfach?? Was lohnt sich denn noch hier zu verbergen? Der Raum<br />
offenbarte unverhohlen Ungeheuerlichkeit, welche mit einem einzigen Seelenheil kaum zu bezahlen<br />
waren, und dennoch gab es noch etwas, was der Abden auf jeden Fall verborgen wissen will? Und<br />
was für ein gut angelegtes Versteck: er muß wirklich glauben, sich vor Entdeckung schützen zu<br />
müssen. Lanungo beugte sich über den Tisch.<br />
Der gebückte Mann murmelte demütige Worte, während der Abden ihn von der erhöhten Warte eines<br />
kleinen Chores mit kaum verborgener Mißbilligung betrachtete. Bei Selefras Brut, grollte er<br />
insgeheim, möge diese Kröte einen trifftigen Grund haben... Die Vorbereitungen für eine<br />
Priesterweihe hatten ihn ganz in Anspruch genommen und er fühlte sich etwas ausgelaugt durch die<br />
vorangehenden Beschwörungen und die Auswahl der angemessenen Opfer.<br />
Wirsch bedeutete er dem Adepten sich ihm zu nahen und vorzutragen, was vorzutragen sei und sich<br />
dann zu entfernen, du große Hölle. Er griff nach einem Weinkelch, um sich am Kräuterwein zu<br />
stärken. Der andere begann, mit tonloser Stimme.<br />
Nur wenige Augenblicke später klirrte der Kelch über die Stufen.<br />
Die geheime Lade enthielt einen in Wachspapier entschlagenen Faszikel. Darauf waren rätselhafte<br />
Zeichen niedergeschrieben, zweifelsohne in einer Schrift, die eigens dafür entwickelt waren, daß<br />
selbst derjenige, der ihrer ansichtig wurde, sie nicht entziffern sollte können. Geheimschriften waren<br />
eine Wissenschaft für sich und selbst Lanungo, der mit verschiedensten Verschlüsselungsarten im<br />
Rahmen seiner Ausbildung vertraut gemacht worden war, erkannte sogleich, daß er hier auf Anhieb<br />
nicht weiterkommen könnte. Der Abden war ein kluger Mann.<br />
Indessen drehte es sich, soviel stand fest, um eine Art Rechnung, welche die vier, nach alter Lehre<br />
wesentlichen Bestandteile allen Seins, Feuer, Wasser, Luft und Erde, in einen bestimmten Bezug