Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Eine Art von Nacht - Jeanette Kaz<br />
Rain drückte nochmal leicht ihren Arm. „Sehr gut. Ich werde mich darum kümmern.“ Schützend hob<br />
sie die Hand vor die Kerzenflamme, als sie mit schnellen Schritten durch die Tür ging. Airan fuhr sich<br />
über die Stirn. Vielleicht hatte sie sich in Rain getäuscht. Jedenfalls hatte sie gerade eben nicht wie<br />
der weltfremde Bücherwurm reagiert, für den sie sie gehalten hatte. „Johanniskraut. Johanniskraut.<br />
Ringelblumen. Schafgarbe, wenn ich welche finden kann. Frühlingsteufelsauge wäre eine feine Sache,<br />
aber ich glaube … doch! Ich habe noch irgendwo ein Bündel … Wenn ich diese Entzündung nicht in<br />
den Griff bekomme, wird sein Herz jede Unterstützung brauchen, die es kriegen kann …“ Sie sprang<br />
auf und begann mit der Arbeit.<br />
���<br />
„Wie geht es ihm?“ Viril sah mit Besorgnis, wie blaß die Chirurgin um die Nase war. „Nicht gut,<br />
Mutter Oberin. Gar nicht gut. Wir haben ihm den Tee eingeflößt, der sollte sein Fieber ein wenig<br />
senken, wenigstens für kurze Zeit. Im Augenblick versuche ich, ob ich die Entzündung seiner Wunde<br />
mit einem Breiumschlag eindämmen kann. Außerdem hilft mir Rain dabei, ihn immer, ihn kühl zu<br />
halten. Wenn das alles nicht hilft …“ Sie sank am Waschtrog in der Küche ein wenig in sich<br />
zusammen. „… wenn das nicht hilft, dann … dann werde ich ihn nochmal aufschneiden müssen.“<br />
„Setz' Dich jetzt erstmal, Kind. Wenn Du vor Müdigkeit zusammenklappst, bist Du dem Mann keine<br />
große Hilfe.“<br />
Rain stellte eine dampfende Tasse Tee vor Airan auf den Tisch. „Apropos Hilfe. Denkst Du nicht,<br />
Airan, Du könntest ebenfalls etwas Hilfe gebrauchen? Professionelle Hilfe, meine ich?“ Müde sah die<br />
Chirurgin zu ihr auf. „Was meinst Du damit?“ Vorsichtig jetzt, dachte Rain. „Nun … vier Hände sind<br />
besser als zwei und zwei Köpfe haben mehr Ideen als einer.“ Airan funkelte sie über den dicken<br />
Steingutrand ihrer Tasse an und setzte sie dann mit einem scharfen Knall auf den Tisch. „Eine<br />
Heilerin, meinst Du, ja? Eine Hokuspokus-Tante? Und Du denkst ernsthaft, ich würde so einer<br />
erlauben, sich an einem meiner Patienten zu vergreifen?“<br />
„Airan,“ Viril griff nach ihrer Hand, „beruhige Dich. Es gibt sehr tüchtige Heilerinnen. Es mag sogar<br />
sein, daß Dir die eine oder andere etwas voraus hat.“ „Ich habe bei den besten Ärzten von Hale<br />
gelernt! Niemand hat seine Ausbildung so schnell abgeschlossen wie ich!“<br />
„Das meinte ich nicht, Kind. Manche von den Heilerinnen haben … nun, besondere Kräfte.“<br />
„Ach ja? Hast Du schonmal eine getroffen? Das kommt überhaupt nicht in Frage!“ Sie fuhr zu Rain<br />
herum. „Wenn Du helfen willst, bleib' mir mit Deinen gutgemeinten Ratschlägen vom Leib und hilf<br />
mir lieber, wenn ich den Mann nochmal operieren muß!“<br />
Mit wehenden Gewändern rauschte sie durch die Tür. Viril seufzte. Rain zuckte die Schultern. „Ich<br />
mußte es doch versuchen, oder, Mutter?“ Viril nahm einen Schluck Tee. „Vielleicht kommt sie zur<br />
Vernunft. Versuch' es später nochmal.“<br />
���<br />
Rain starrte nach draußen. Es war so still. Man sollte meinen, wenn der Tag zur Nacht wird, müßte<br />
man panische Menschen hören, die mit Laternen durch die Gassen laufen, oder den Marschtritt der<br />
ausrückenden Stadtgarde. Schließlich, für die - nun, nicht so seriöse Einwohnerschaft von <strong>Elek</strong>-<br />
<strong>Mantow</strong> sollte die Finsternis die idealen Arbeitsbedingungen bieten. Aber es war still. So still, als<br />
wären sie allein hier zurückgeblieben. Sie wollte einen der Fensterläden öffnen, um hinauszusehen, in<br />
der Hoffnung, vielleicht die Lichter der Kaserne sehen zu können - das wäre eine Beruhigung. Aber<br />
ihre Finger zögerten und verkrampften sich um die Riegel. Einen Augenblick blieb sie so stehen und<br />
schauderte. Sie brachte es nicht über sich. Dies war wahrhaftig eine schwarze Nacht.<br />
Ein Hämmern an der Tür riß sie aus ihren morbiden Gedanken. Sie lief in den Flur und wollte schon<br />
öffnen, als Virils Stimme sie zurückhielt. „Warte!“ Die Mutter Oberin schritt an ihr vorbei, in der<br />
Hand hielt sie eines der großen Fleischmesser aus der Küche. Sie hat recht, dachte Rain verkrampft.<br />
Sie hat recht. Wer weiß, was da aus der Nacht heraus zu uns hinein will. „Wer ist da?“<br />
„Öffnet, äh, Dame. Hauptmann Larkur schickt uns auf Patrouille und trug uns auf, nach Euch zu<br />
sehen.“ Viril öffnete die Tür. Schattenhaft waren die Umrisse zweier Stadtgardisten zu sehen. „Ist bei<br />
Euch alles in Ordnung, Damen?“ „Ja, Soldat. Alles ist gut, bei uns. Aber wie steht es mit dem Rest<br />
der Stadt?“ Der Gardist trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Nicht sicher für Euch, Damen.<br />
Viel Arbeit für uns. Bitte bleibt im Haus, hier wird Euch am wenigsten geschehen. Nehmen wir an.“