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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Der Ruf des Falken - Claudia Wamers * Jürgen Nilkens * Oliver Nothers * Robert Symons<br />

nie gesehen hatte, die nicht einmal wußte, wer ihre Eltern, und wo somit ihr rechter Platz im Leben<br />

war. Ich war, wie ihr auch, ohne Hab und Gut und scheinbar ohne jede Zukunft.<br />

Ich hatte mich auf dem Weg bereits an vielen Heilerschulen, überhaupt erst einmal an einer Schule,<br />

beworben, um etwas Rechtes zu erlernen. Aber ein Kind aus dem Rattenloch, aus der untersten<br />

Unterschicht, ohne Geld um für die Lehre zu bezahlen, ohne namhafte Fürsprecher um für den<br />

Lehrling zu bürgen? Das hatte keinen Wert, nirgendwo auf Nontariell. Aber ich würde nicht aufgeben,<br />

ich nicht, ich würde mich durchbeißen, dessen war ich mir sicher. Bislang hatte ich mir meinen<br />

Lebensunterhalt mit dem verdient, was ich von dir, Jakla, erlernt hatte. Ich konnte Lesen und auch<br />

Schreiben, noch nicht sehr gut, wir Schwestern hatten ja immer andere Dinge im Kopf gehabt, aber es<br />

war ausreichend.“ Zho und Li steckten die Köpfe zusammen und lachten, sie wußten genau, welche<br />

Art Ablenkung ihre Schwester meinte. Allerdings dürfte es da so einige Dinge geben, über die auch<br />

Caerlissa nicht unbedingt Bescheid wußte. Aber nun gut, ihrer aller große Schwester setzte in ihrer<br />

Erzählung fort.<br />

„Also, ab und zu konnte ich mir mit Lesen und Schreiben etwas Brot verdienen. Noch dazu hatte ich<br />

irgendwie eine Befähigung zur Heilkunst, was Du ja schon früh gespürt und gefördert hast.“ Jakla<br />

nickte wissend, das hatte sie sehr wohl erkannt, freudig begrüßt und fleißig gefördert. Jakla dachte<br />

daran, wie Caerlissa schon früher an jedem Vogel, der seinen gebrochenen Flügel auskuriert hatte und<br />

an jeder Blume, die sich durch den Dreck der Unterstadt gekämpft hatte, Freude empfunden hatte. Oh<br />

ja, und das Kämpfen, kämpfen ums Überleben, das konnten sie alle auch, Jakla erinnerte sich nur zu<br />

gut daran. Auch daran, wieviele Jungs von Caerlissa dafür schon mal den ein oder anderen Schlag<br />

kassiert hatten, weil sie ihre Finger nicht bei sich behalten konnten. Nun, Caerlissa berichtete weiter.<br />

„Ich wanderte also weiter, zu jener Zeit gerade durch die Länder der Kasraliten. Es war nicht leicht,<br />

sich als allein reisende Frau zu behaupten in diesem Land, das zu häufig von Kriegen mit den<br />

Waslaranern verwüstet wurde. Ich wanderte weiter im Vertrauen auf das, was ich im Rattenloch<br />

erlernt hatte und dachte an meinen Wanderstab - es war ja wohl eher ein veritabler Kampfstab. Nicht<br />

umsonst hat man mich schon sehr früh „Wölfin“ genannt.<br />

Wie ihr wohl noch wißt, wann immer jemand die Kinder in den Gassen des Rattenloches drangsalierte<br />

und ich in der Nähe war, wann immer jemand ein Fieber bekam und Jakla etwas dagegen tat, dann<br />

kämpfte ich wie eine Wölfin um ihre Jungen für den Erfolg. Bei dem Gedanken an meinen<br />

Spitznamen mußte ich auch wieder an euch denken, auch ihr, Leandra, Zhoreena und Lianna habt ja<br />

eure Spitznamen erhalten in den Jahren in der Unterstadt, besonders in der Zeit, als wir uns als Falken<br />

um die anderen Kinder in den Schatten gekümmert hatten. Leandra die „Bärin“, Zhoreena die<br />

„Füchsin“ und Lianna die „Katze“ - seltsam, wie diese Tiere uns alle so treffend charakterisieren,<br />

nicht war? Ich grübelte nach - ob es euch allen wohl gut ging?<br />

Aber ich schweife ab, wo war ich? Ach ja, Kasra! Kasraliten und Waslaraner im Dauerkrieg. Nicht,<br />

daß das etwas Neues war, zwischen diesen beiden Völkern herrscht andauernd Krieg. Ich hatte schon<br />

zahlreiche Wagen und eine Menge Fußtruppen auf ihrem Heimmarsch vom Schlachtfeld gesehen, es<br />

waren immer viele Verwundete darunter. Allerdings hatte ich mich den meisten dieser Trupps von<br />

Söldnern und geschlagenen Soldaten nicht gezeigt - bereits so manchesmal hatte ich mein Leben nur<br />

meiner Vorsicht und einem guten Versteck zu verdanken.<br />

So wie seinerzeit, in der alten Scheune....Ich kann euch sagen, ich möchte eigentlich nicht mehr daran<br />

denken.“ Caerlissa pausierte eine Weile.<br />

„Nun, was dann?“, fragte Lianna neugierig, wofür sie von Leandra einen warnenden Blick riskierte.<br />

Sie konnte sich lebhaft vorstellen, was enttäuschte und zornige Söldner mit hilfloser Bevölkerung, vor<br />

allem weiblicher Art, so alles anstellten. Sie konnte es sich nicht nur vorstellen, sie wußte es auch.<br />

Nur hatte sie selber immer die, hm, schlagenderen Argumente in einem solchen Fall gehabt. Aber sei<br />

es, wie es sei, Caerlissa atmete tief durch, um weiterzureden.<br />

„Ich hatte mich in den hintersten Winkel des Gebälks verzogen und mir die Ohren zugehalten, bis die<br />

Schreie der Frau und das Gelächter der Männer verstummten. Immer wieder betete ich, man möge<br />

mich nicht entdecken - beten? Zu wem? Ich wußte es damals nicht, noch nicht. Ich preßte meine<br />

Hände auf meine Ohren und biß mir vor Wut fast die Unterlippe blutig. Wann nun endlich die Männer<br />

endlich von der Frau abließen bemerkte ich nicht, doch plötzlich war es still. Ich lauschte und wartete

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