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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Der Andere - Stephan Packard<br />

Der Andere<br />

Stephan Packard<br />

Manchmal, in der Nacht, beschleicht uns plötzlich das Gefühl, jemand stünde im Dunkel neben uns,<br />

jemand - oder etwas - sei in unser Zimmer eingedrungen und betrachte uns nun im Schlaf. Wenn<br />

das geschieht, liegen wir vielleicht eine Weile in der eigenen Halbdämmerung im Bett, teils darauf<br />

wartend, daß uns die Augen zufallen, teils darauf, daß der Andere etwas tut und sich bemerkbar<br />

macht; oder wir richten uns auf, machen mit ein paar ruckartigen Bewegungen Licht und wissen<br />

schon genau, daß wir nichts vorfinden werden, wenn wir nachschauen. Trotzdem machen wir Licht.<br />

Was geschieht, wenn der Andere im Aufblitzen der Lampe nicht verschwindet?<br />

���<br />

Es war eine kleine, unsichere Flamme, und die Kerze zitterte in Manyrs Hand. Er saß, halb<br />

aufgerichtet, in seinem Bett, um ihn der kleine helle Lichtkreis und die tiefere Finsternis dahinter.<br />

Kurz hatte er die dunklen Augen gesehen...<br />

Er schauderte. Seinem Gefühl nach mußten bereits die ersten<br />

frühen Morgenstunden angebrochen sein, wenn die halbherzige Herbstsonne stockend über den<br />

Horizont kriecht und eine erste Warnung vor dem folgenden Tag leuchtet.<br />

Aber er hatte sich geirrt: Es war draußen noch ebenso dunkel wie am Abend zuvor, als er sich, von<br />

langer Schreibtischarbeit aufgezehrt, auf die harte Matratze fallen lassen hatte und schnell in großem,<br />

hohlen Schlaf versunken war.<br />

Er drehte sich um und schlief weiter.<br />

���<br />

Jetzt stand die Kerze, immer noch unruhig in ihrer Halterung vibrierend, auf Manyrs Schreibtisch<br />

und beleuchtete ein zur Hälfte mit fahrigen Schriftzeichen bedecktes Stück Pergament. Manyr<br />

konnte nicht mehr schlafen, obwohl es noch mitten in der Nacht war. Was sollte er also tun?<br />

Es fröstelte ihn ein wenig zu der frühen Stunde, aber er war aufgestanden und hatte sich wieder an<br />

die Arbeit gemacht, wartete auf die ersten Strahlen der Sonne und schrieb seinen Bericht an die<br />

Akademia zu Ende.<br />

Der Text ging nur schleppend voran; er hatte sich noch immer nicht entschieden, ob er seinen<br />

kleinen Ausflug in die Welt der Magie seinen Oberen melden oder besser kein Wort darüber<br />

verlieren sollte. Daß er sich selbst in die Geschichte der Stadt verstrickt hatte, war wenig rühmlich<br />

und verdiente den Schleier des Vergessens durchaus; aber daß sich ein abtrünniger Perger in der<br />

Nähe angesiedelt hatte, der Macht über die Geister des Berges besaß, war beunruhigend.<br />

Er schluckte mehrmals, aber der bittere Geschmack in seinem Mund wollte nicht verschwinden.<br />

Seine Knie waren steif, als er von seinem Stuhl wieder aufstand, um hinüber zu gehen ins andere<br />

Zimmer und einen Schluck von dem abgestandenen Wasser zu nehmen, das er gestern erst mit<br />

einem Ächzen seiner alten Glieder hergeschleppt hatte.<br />

Ein paar kurze Schritte, er stolperte über eine Spalte im<br />

Holzboden. Ein kurzes Trippeln mit den nackten Füßen, dann stand er wieder fest. Der Boden war<br />

rauh an dieser Stelle. Etwas dröhnte in seinem Kopf; er war zu lange aufgeblieben.<br />

Als er den Schatten bemerkte, drehte er sich blitzschnell um, aber die dunkle Ecke neben dem<br />

Bücherregal war im Schein seiner Kerze vollkommen leer.<br />

���<br />

Er saß auf seinem Bett und fror in dem dünnen, faltigen Nachthemd. Sein Rücken war<br />

verspannt, die Arme hingen lang herunter. Sein Blick folgte ihnen starr bis zum Boden herab.<br />

Es war eine Gewissensentscheidung, die er fällen mußte, und entsprechend machte ihm sein<br />

Gewissen Schwierigkeiten. Der Hohe Orden zu Pergemitron... Der Alte Orden zu Pergemitron...<br />

Was waren das für Leute, die im Obersten Rat der Akademia saßen? Alte Greise, die sich mit<br />

langsamen, schleppenden Schritten zwischen ihren Zimmern, den Speisesälen und ihren Büros hin<br />

und her bewegten, langsam, unentschieden. Die unendlichen Reihen der in Jahrhunderten

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