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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Der Ruf des Falken - Claudia Wamers * Jürgen Nilkens * Oliver Nothers * Robert Symons<br />

Der Ruf der Falken<br />

Claudia Wamers * Jürgen Nilkens * Oliver Nothers * Robert Symons<br />

Die Frau verhielt ihr Pferd und sah sich um. Dankend klopfte sie der Stute, die sie scheinbar ohne<br />

Mühen bis hierher getragen hatte, den Hals. Es war kein wirklich beschwerlicher Aufstieg bis in die<br />

Berge gewesen. Wie sollte es denn auch, es war ja Frühling, sogar schon Hamilé, die schönste Zeit im<br />

Jahreslauf - alles erblühte, wuchs und gedieh, um die junge Frau pulsierte das Leben. Und so ein<br />

schöner Morgen war es, wie sehr hatte sie sich schon während ihres Rittes erfreut an dem Anblick<br />

sprudelnder Quellen und grünender Wiesen.<br />

Es knackte mehrmals hinter ihr im Unterholz. Ein Hirsch trat mit seinem Harem neben ihr aus dem<br />

Hochwald heraus. Sie sandte ihm einen stillen Gruß. Das Tier senkte sein majestätisches Haupt wie in<br />

Antwort ihr zu und passierte die Reiterin, die ihm und seinen Damen mit deren Jungtieren, alle ohne<br />

jede Scheu, nachblickte.<br />

Sie ließ ihren Blick schweifen über die umliegenden Gipfel. Viele waren noch schneegekrönt, viele<br />

würden es das ganze Jahr über bleiben, das wußte sie. Ihr Blick wanderte weiter, bis zu der gewaltigen<br />

Spalte die die Landschaft hier zerteilte, zu der trutzigen Brücke die die Spalte überspannte und zu den<br />

darumliegenden Häusern. Ja, sechs Jahre war es nun schon her, sechs lange Jahre, seit sie zu Fuß, als<br />

mittellose Waise, mit wenig mehr als einem Bündel, die schmutzigen Gassen der sich ihren Blicken<br />

darbietenden Stadt verlassen hatte - <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>.<br />

Als sie ihrem Pferd bedeutete die Richtung der Stadt einzuschlagen, da wußte sie genau, was sie dort<br />

finden würde - auch nach sechs Jahren. Sie würde Armut, Schmutz, Gewalt und Ungerechtigkeit<br />

begegnen, hoffentlich aber auch die Menschen, mit denen sie vor diesen Jahren Armut, Schmutz,<br />

Gewalt und Ungerechtigkeit gemeinsam getrotzt hatte.<br />

Alles würde sich finden... alles fließt... der Wandel ist unaufhaltsam...<br />

Sie fragte sich, was in aller Welt sie dazu hatte bringen können, hierher zurück zu kommen. Irgend<br />

etwas hatte sie in eine innere Unruhe versetzt, die erst mit abnehmender Entfernung zu <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong><br />

geringer wurde. Es war ihr, als hätte sie den Ruf eines jagenden Falken vernommen, der sie hierher<br />

befahl.<br />

Sie lenkte ihr schwarzes Pferd auf die Häuser zu. Sie blieb diesseits der großen Spalte, die die Stadt<br />

unabänderlich in eine südliche und eine nördliche Hälfte trennte. Die natürlich gegebene Trennung<br />

konnte sie ja noch hinnehmen, aber was sich durch die Spalte nicht hätte ergeben dürfen war die<br />

vorhandene Trennung in eine elitäre Oberschicht und den Bodensatz der Gesellschaft, wie es die<br />

Oberschicht gerne formulierte.<br />

���<br />

„Herrje, ist das heiß!“, dachte die junge Frau, „ich hatte ganz vergessen, wie warm es hier schon im<br />

Hamilé werden kann.“ Na ja, kein Wunder! Sechs Jahre waren nunmehr vergangen, seit sie <strong>Elek</strong>-<br />

<strong>Mantow</strong> verlassen hatte - eigentlich für immer, wie sie damals gehofft hatte. Denn so schön manche<br />

Erinnerung an Freunde und Erlebnisse aus Kindheit und Jugend auch sein mochte - den Beinamen<br />

„Das Rattenloch“ trug die Südstadt, vom reicheren Teil <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>s durch eine schier bodenlose<br />

Erdspalte getrennt, nicht von ungefähr. Aus der Zeit, als sie zusammen mit den anderen Kindern die<br />

Straße unsicher gemacht hatte, waren genug Narben auf Leib und Seele geblieben. Es war<br />

unwahrscheinlich, daß sich während ihrer Abwesenheit auch nur das geringste an den Zuständen dort<br />

verändert hatte - eher würde ein Kasralit bei einer Größe von zwei Tritt aufhören zu wachsen, als daß<br />

sich im Rattenloch etwas zum besseren hin wenden würde. Und trotzdem war sie zurückgekehrt, und<br />

sie hatte nicht den Schimmer einer Ahnung, was sie so urplötzlich hierhin getrieben hatte. Es war ihr<br />

allerdings, als hätte sie den Ruf eines jagenden Falken vernommen, der sie hierher befahl.<br />

Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Selbst für Hamilé, dem an sich wärmsten und schönsten<br />

Monat des ganzen Frühjahres, war es extrem warm. Sie verhielt den Schimmel, der in den letzen<br />

Jahren ihre treuer Begleiter geworden war - ein wahrhaft königliches Geschenk! -, um den langen<br />

Umhang zusammenzurollen und in die Satteltaschen zu stopfen - zu ihrer übrigen Winterkleidung aus<br />

Fellen von Silberwolf, Eisbär und Schneehase. Ein Glück, daß die Ärmel der roten Tunika, die sie<br />

unter ihrem Lamellenpanzer trug, abnehmbar waren. Der Anblick, der sich einem heimlichen<br />

Beobachter geboten hätte, war in der Tat beeindruckend: Eine schlanke und doch muskulöse junge<br />

Frau, mit hüftlangem schwarzen Haar, zu einem nach vorn über die rechte Schulter hängenden Zopf

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