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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Keriams Schatten - Kai-Florian Richter<br />

Keriams Schatten<br />

Kai-Florian Richter<br />

-1-<br />

Der Söldner stand an der Ecke, schaute sich mehrmals in alle Richtungen um, rieb sich dabei die<br />

Hände, die bei dieser Kälte schon fast abgestorben sein mußten, und ging dann weiter. In etwa fünf<br />

Minuten würde er oder ein anderer, der sich von diesem nur durch Größe und Haarfarbe unterschied,<br />

wieder auftauchen. Das hatten die Beobachtungen der letzten Woche gezeigt. Wie erwartet, verließ<br />

sich Keriam nicht auf den zweifelhaften Schutz der Stadtwache, deren Soldaten nachgesagt wurde, für<br />

den richtigen Preis fast alles zu tun, vom Wegsehen bis zum Mord an denen, die sie schützen sollten.<br />

Ja, einige behaupteten sogar, für genügend Goldsonnen würde die Wache die Stadt erobern oder einen<br />

Krieg mit den Nachbarstaaten beginnen.<br />

Nein, Keriam vertraute sich und seine Habe lieber einigen Söldnern an. Die taten zwar auch fast alles<br />

für Geld, hielten sich aber im allgemeinen an Abmachungen und wechselten nicht für mehr Geld die<br />

Seiten. Und natürlich gehörten die Söldner Keriams zu den besten der Stadt. Wachwechsel fanden<br />

scheinbar zufällig statt, mehrmals in der Nacht wechselte die Richtung, in der sie um das Grundstück<br />

patrouillierten, und auf dem Grundstück selbst waren die Wege der Wachen noch weniger<br />

vorhersehbar, wie sich gezeigt hatte.<br />

Bei der Generalprobe gestern wäre beinahe schon alles vorbei gewesen. Die Mauer selbst war kein<br />

Hindernis, sie war auch ohne Hilfen leicht, schnell und fast geräuschlos zu überwinden. Der Erbauer<br />

hätte auf die prunkvollen Reliefs verzichten sollen, die, soweit sich erkennen ließ, nicht einmal<br />

irgendetwas sinnvolles darstellten. Auch der Garten, oder sollte man besser sagen kleine Park, bot mit<br />

seinen vielen Wegen und den zahllosen Hecken und Ziersträuchern genug Möglichkeiten, sich<br />

unbemerkt zu bewegen oder sich, wenn nötig, zu verstecken. Doch genau da lag das Problem. Die<br />

Söldner trampelten nicht durch den Garten wie eine Horde Jalanga-Ochsen, sondern bewegten sich so<br />

leise und vorsichtig, wie es mit Kettenhemd, schweren Stiefeln und Breitschwert eben ging. So war<br />

einer von den vier Söldnern, die wahrscheinlich zur selben Zeit im Garten unterwegs waren, plötzlich<br />

an einer Weggabelung hinter einer Hecke aufgetaucht, eine Entdeckung verhinderte nur pures Glück.<br />

Der Mann schaute zuerst in die andere Richtung, dies ließ der Gestalt die Möglichkeit, in einer<br />

Lücke, die dort in der Hecke war, zu verschwinden. Dann verschwand die Wache in die andere<br />

Richtung. Aufs Dach des mehr als großen Hauses und von dort ins Innere zu gelangen, war wiederum<br />

ein recht geringes Problem, auch wenn dies wenig einbrachte. Vor Keriams Zimmer stand ebenfalls<br />

ein Söldner, ganz zu schweigen von den beiden, die durchs Haus gingen. Also blieb nur der Weg<br />

durchs Fenster, glücklicherweise schlief Keriam ebenerdig.<br />

Die schwarze Figur löste sich langsam aus der Nische in der Keriams Grundstück gegenüberliegenden<br />

Mauer, die jemand so angelegt hatte, als wäre sie zum Zwecke der Beobachtung gedacht gewesen,<br />

und lief auf fellumwickelten Sohlen über die menschenleere Straße. Mit wenigen Handgriffen war sie<br />

auf der Mauer, und nachdem sie sich in alle Richtungen umgesehen und intensiv gelauscht hatte, ließ<br />

sie sich auf der anderen Seite fallen. Das Licht war genau richtig, der helle Mond hinter Wolken, der<br />

andere leuchtete voll, aber schummrig den Garten aus. Die Gestalt huschte weiter, über die trockenen,<br />

gefrorenen Sandwege auf das Haus zu, immer darauf lauernd, jeden Moment stehenzubleiben oder<br />

hinter einem Busch zu verschwinden. Doch heute tauchte kein Söldner auf, die kurze Zeit bis zum<br />

Haus blieb ereignislos. Blieb nur noch das Fenster auf der anderen Seite. Die Gestalt huschte einem<br />

Schatten gleich um die Ecke, nur um sofort wieder zurückzuprallen und sich flach an die Wand zu<br />

pressen.<br />

Ein Söldner! Wahrscheinlich würde er gleich um die Ecke biegen. Eine behandschuhte Hand tauchte<br />

unter den weiten, schwarzen Umhang und tauchte mit einem Dolch, die Klinge geschwärzt, wieder<br />

auf. Bewegungslos verharrte die Figur eine halbe Minute, doch der Söldner kam nicht. Den Dolch<br />

wieder wegsteckend, schlich sie um die Ecke und rannte dann leise weiter. Eins, zwei, drei, vier. Dies<br />

war Keriams Fenster, die Läden aus massivem Eriak-Holz verhinderten jeden Blick ins Innere und<br />

sollten wohl auch das Eindringen verhindern. Wieder verschwanden die Hände unter dem Umhang<br />

und kamen kurz darauf mit einem verschlossenen Topf wieder zum Vorschein. Mit einem kaum<br />

hörbaren Plop öffnete sich der Deckel und eine Hand tauchte ein Tuch in den Topf, um anschließend<br />

die Scharniere des Fensters zu fetten. Dann tauchte der Topf wieder unter den Umhang unter und ein<br />

langer, schmaler Dolch, der eher wie eine zu lange Nadel aussah, wieder auf. Dieser öffnete zunächst<br />

die Verriegelung des Fensters, das daraufhin nach außen aufschwang. Nun begann das gleiche Spiel

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