Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Schattenfuchs und Schleiertanz - Christel Scheja<br />
Der Mann brummte zufrieden. Sie kannte ihn nicht genauer, aber die Arbeit in den Erzminen hatte<br />
seine Kraft in dem Maße vergrößert, in dem sein Verstand darunter gelitten hatte.<br />
Schneller als man vermuten konnte, setzte er ihr nach. Obgleich sie noch immer durch den Schlag<br />
benommen war, wich Aziareya ihm taumelnd aus und ergriff die Flucht. Ihren Plan - die Mutter zu<br />
„besuchen“ mußte sie ein anderes Mal umsetzen. Jetzt blieb nicht die Zeit dazu - mit einem so<br />
blutrünstigen Bullen hinter sich, der ihr schon wieder gefährlich nahe kam.<br />
Geschwind wie ein Springhase schlug sie vor seinen zugreifenden Pranken Haken - und bemerkte erst,<br />
als sie die Nebelwand vor sich sah, daß er sie an die Schlucht herangetrieben hatte. Es stank<br />
bestialisch aus der Tiefe herauf, so daß sie sich unwillkürlich die Nase zuhalten mußte.<br />
Als sie ein schnaufendes Lachen hörte, wirbelte sie herum. Ihr Verfolger versperrte ihr den Weg in<br />
die Gasse, aus der sie gekommen war. Einen anderen Weg aus der Sackgasse gab es nur über ein<br />
Gitter, dessen Eisenstäbe in scharfen Spitzen endeten - und in die Schlucht.<br />
„So mein kleines Füchslein, jetzt kannst du mir nicht mehr entwischen - und die 20 Silbersonnen für<br />
deinen hübschen Kopf habe ich gleich verdient und vielleicht noch'n bißchen mehr ...“, murmelte der<br />
Vierschrötige und rieb sich in Vorfreude die Hände. Das klang so, als wüßte er, was sie war. „Nun<br />
Knäblein, zermatsche ich dich wie eine Wanze auf meinem Kopf!“ Er klopfte sich auf seine verfilzte<br />
Haarpracht und spuckte aus.<br />
Aziareya war nicht zum Lachen, denn er war trotz aller Angeberei in einer besseren Position als sie,<br />
zumal noch zwei weitere Männer aus den Schatten auftauchten. Sie sah sich gehetzt um und wich, so<br />
weit es ging zurück. Ihre Gedanken wirbelten durcheinander. So wenig wie sie sterben wollte, so<br />
wenig wollte sie die Gefangene dieses ekligen Kerls sein ...<br />
Sie holte tief Atem und schüttelte den Kopf. Verdammt war dieser Mittmondtag, diese verfluchte<br />
Nacht. Als ob sie es herausgefordert hätte und nun den Preis für ihre Tat vor neun Jahren zahlen<br />
müßte.<br />
Beim Schlangenskorpion nein! Nicht umsonst war sie unter Selefras Zeichen geboren und wußte<br />
immer einen Ausweg!<br />
Bei Cherindrastas Schleiertanz, es gab nur noch diesen einen Weg. Sie mußte sich selber vertrauen.<br />
Sie drehte sich zum Abgrund hin - und sprang, als der Mann sie mit seinen Pranken festhalten wollte.<br />
Lautlos verschwand sie im Dunst und verlor ihren Verfolger, von dem sie nur noch einen Schrei hörte<br />
aus den Augen ...<br />
Ailanth schreckte aus dem dumpfen Brüten hoch, dem sie auf der Dachterrasse verfallen war. Trotz<br />
der heißen Nacht war der Himmel sternenklar gewesen, und sie zeichnete die Positionen der<br />
Sternbilder auf, um aus ihnen Erkenntnisse über den Ausgang der Triumviratswahl zu lesen. Sie<br />
lächelte zynisch. Ihrem Auftraggeber würde sicher nicht gefallen, daß ab dem Mittmond des Jahres<br />
167 ein anderer Wind wehen würde. Die Sterne standen gut für das Haus Broschakal, und der<br />
Feuervogel verhieß Kraft und Stärke - während der Eisdrache die Hoffnungen ihres Klienten erstarren<br />
ließ. Glücklicherweise hatte er sie schon bezahlt, und konnte das Geld nicht mehr zurückfordern, das<br />
sie so dringend benötigt hatte.<br />
Noch einmal blickte sie über den Garten hinaus auf die Straße. Unter ihr war es für einen Moment<br />
laut geworden, eine Männerstimme hatte die Stille der Gasse zwischen ihr und dem Hesvite-Tempel<br />
unterbrochen - doch bevor sie die Störenfriede erkennen konnte, waren diese schon verschwunden.<br />
Wahrscheinlich war es nur sich streitendes Gesindel gewesen, um das sie sich nicht weiter kümmern<br />
mußte. Obgleich das nicht das erste Ärgernis des Abends gewesen war. Hauptmann Larkur hatte sie<br />
kurz nach Einbruch der Dämmerung gestört und ihr von einem Straßenjungen berichtet, der in ihren<br />
Garten hatte eindringen, und sie dazu befragen wollen. Und sie hatte ihn erregt, ja wütend aus dem<br />
Haus gewiesen, weil sie noch immer von ihren schmerzlichen Erinnerungen gequält worden war. Nun,<br />
um eine Entschuldigung würde sie sich wohl kümmern müssen.<br />
Ailanth lehnte sich zurück und wollte sich wieder ihren Beobachtungen widmen, als sie plötzlich eine<br />
Schwäche in ihren Gliedern spürte.<br />
Die Feder entglitt ihren steifen Fingern, während sich ihr übriger Körper taub anfühlte. Ihr Blick<br />
verschwamm und sie meinte einen Moment das dreieckige Gesicht eines Kindes vor sich zu sehen,<br />
dessen Silberaugen sie aufmerksam musterten.<br />
„Bei Cherindrasta, Kind, das ist unsere Gabe und du hast das Gefühl sie zu lenken in dir: Alles ist<br />
möglich, wenn du nur daran glaubst - du kannst sogar in der Luft wandeln und einen Abgrund