Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Spiel - Thomas Peter Goergen<br />
Spiel<br />
Thomas Peter Goergen<br />
In der letzten Nacht war wieder Schnee gefallen, dichter Schnee wie Löschkalk, der alles, was er nicht<br />
bedeckte, gegen seine Weiße schwärzte, ob Mauer- oder Zimmerwerk, feucht, von glänzender Glätte<br />
wie Quarzgestein. Es war ein früher, frostiger, menschenleerer Morgen kurz nach Jahreswende. In die<br />
Schneewüste, welche die sommerliche Steinöde der Berge abgelöst hatte, duckte sich <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong><br />
unter den stehenden Dünstungen seiner Schornsteine als ein frierendes, schlafendes Tier.<br />
Im Rattenloch, wo gemeinhin selbst der Schnee schmutziger war als der in der Oberstadt, hatte, zu<br />
dieser Stunde, noch nicht das Gewühl der Leute die Bracke, den gefrorenen Schlamm der Straße mit<br />
der Schneedecke vermengt und in das unansehnliche Grau verwandelt, das Sommers wie Winters die<br />
Unterstadt zeichnete. Es war ein schönes, lebloses Bild.<br />
In der Früh, kurz nach dem klaren Tagesanbruch, glitt die klobige Kutsche, lautlos bis auf das feine<br />
Klingeln der Zaumglöckchen, auf den versprengten Rand der Südstadt zu. Bald passierte sie die ersten<br />
schuppigen Häuser. Das eingeschneite Dach ließ darauf schließen, daß sie bei Nacht unterwegs<br />
gewesen waren, der Kutscher und sein Pferd, beide in schwere Decken gehüllt, ebenfalls von dünnem<br />
Schneeflaum bedeckt; ihr Atem dampfte in die kalte Luft. Der Verschlag war von dunklen Vorhängen<br />
verfinstert. Langsam schaukelte der Wagen über das holprige, schneebedeckte Pflaster durch die<br />
ausgestorbenen Gassen. Von ferne drang der müde, hohe Hornton der Wachablösung.<br />
Es war seltsam anzusehen, wie das Gefährt ganz regungslos - weder der Kutscher rührte sich, noch tat<br />
die Mähre mehr als die spärlichsten Bewegungen, nötig, den Kasten in Fahrt zu halten - durch die<br />
Straßen schlich, fast wie von einer inneren, verborgenen Maschine getrieben.<br />
Schließlich, vor einer kleinen Hütte, deren Türe und die Fenster vernagelt waren, wurde angehalten.<br />
Der Kutscher stieg vom Bock, klopfte an seinen Decken herum, daß es Schnee staubte, stapfte dann<br />
auf die Baracke zu. Dort ergriff er einen an den Türrahmen gelehnten Spaten; ein kräftiges Gestemm,<br />
splitterndes Holz, und die Balken war von der Türe herunter. Vorsichtig öffnete der Mann und spähte<br />
in den dunklen Raum. Dann machte er kehrt, zurück zu seiner Kutsche - ein zögerliches Innehalten,<br />
bevor er sich wieder hinaufhangelte und oben erstarrte.<br />
Nun, nach einer Weile, in der die Kutsche stumm verharrte, das Pferd mit bald traurig-komischen<br />
Gesten sein Maul über die Schneedecke strich, als suchte es zaghaft nach einem letzten, kümmerlichen<br />
Gras, öffnete sich der Verschlag. Eine gebückte Gestalt in einem kostbaren Pelz, von öligem<br />
Schimmer wie ein Rabengefieder, den Kopf in einen kunstvoll gewundenen Schal versteckt, kletterte<br />
heraus. Ohne sich noch einmal umzusehen, schritt sie zügig auf die ärmliche Hütte zu, huschte hinein<br />
und schloß die Tür.<br />
Fast gleichzeitig setzte sich die Kutsche wieder in Bewegung. Sie wendete, den Weg zurück, den sie<br />
gekommen war. Noch bevor sich die Straße allmählich zu beleben begannen, war sie wieder aus der<br />
Stadt verschwunden.<br />
Im Süden dehnte sich die Unterststadt. Ein weites Feld, vielleicht ein, zwei Läufe in Fläche gezählt,<br />
ein einsames und unwirsches Land, im Sommer heißer Schutt und Geröll mit schwarzen Bewuchs,<br />
jetzt weiß, karge Weiden wie gebückte, erfrorene Schäfer, still und kalt.<br />
Die Unterststadt wurde gemeinhin von allen gemieden; selbst an sonnig-schönen Tagen im Hamilé<br />
haftete diesem Ort etwas düsteres an, etwas gespenstisches - im Streichen des Windes, der in einigen<br />
Höhlen dort sich wie in Orgelpfeifen brach, im grauen Laub und in den Mustern des Sandes, die vor<br />
allem aufgeworfen wurden durch die Unterhöhlungen der Akka-Gräbler, einer heimischen, aasenden<br />
Maulwurfsart.<br />
Die Unterststadt war das Vorrecht eines Mannes, der seit bereits etlichen Jahren hier wohl nicht lebte,<br />
aber seine Zeit und Kraft auf die Sorge auf den „dritten Stadtteil“ <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>s verwandte. Auch an<br />
diesem Morgen im frühen Erststrahl.<br />
Parcesastre Lugubrues hatte den Leinensack in das Loch versenkt, das er seit einigen Stunden in den<br />
steinharten Boden gegraben hatte, und machte sich nun daran, es wieder aufzufüllen. Die Nacht hatte<br />
er mit den Vorbereitungen verbracht, den Leichnam, den er gestern abend unweit vom „Totenkopf“<br />
aufgelesen hatte, für die Verscharrung („Beerdigung“ zu sagen, gefiel ihm nicht, das war etwas für<br />
Reiche und Priester) hergerichtet: ein Rekschat, augenscheinlich zu Tode gekommen durch den Stich<br />
in den Magen, doch im Grunde waren es die Kopfverletzungen, Blutungen des rechten