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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Der Anfang - Peter Thomas Goergen<br />

Er seufzte, zupfte noch unentschlossen, zuguterletzt angelte er aus einer Wamstasche eine zierliche<br />

Silberbürste und begann die fast pfeillange Pracht liebevoll, bedächtig zu kämmen.<br />

Etwas später hatte er sich gestärkt.<br />

Er saß allein in seinem Raum und besah sich mit mürrischem Gesichtsausdruck die üppigen Dünste<br />

und Schlieren, die bläulich seiner Wasserpfeife entstiegen. Das Mundstück war der schlanke Kopf<br />

einer bernversteinerten Fatles-Natter. Der Biß einer Fatles bedeutete einen schleichenden, sich über<br />

Wochen hinziehenden Tod.<br />

Fatles. Mittmond war er angekommen in Elece-Mantáu. Mittmond. Mittlerweile hatte der Oberring<br />

mit seinen ewigen Regentagen die Mittmondsonne abgelöst. Und es ging schon auf Talu zu. Draußen<br />

regnete es seit Stunden. Seit Tagen. Der Sammler gähnte. Oberring.<br />

Vor ihm lag ein geschliffener Kristall, etwa münzgroß - er hatte ihn aus dem Baldachin des Zeltes<br />

gelöst, zuvor hatte er dort am Rande des fünften, großen Flecken geprangt, desjenigen, der fast der<br />

mittlere zu nennen war, der mit den Umrissen eines unsauberen Totenschädels.<br />

Nun war der Kristall in einer kupfernen Halterung fixiert, und eine Abblendlampe durchleuchtete ihn,<br />

so daß er auf ein weißes Papier die Schatten der unsagbar feinen Linien und Einsprengsel warf, die<br />

sein Inneres ausmachten - sorgsame, schnurgerade Felderchen, kleine Flächen, dann ein unförmiger<br />

Schlitz wie eine langgestreckte Schnecke, dann, nun ja, ein Wirrwarr vieler kleiner Punkte wie<br />

Sandkörner, zufällig verstreut.<br />

Lanungo summte leise vor sich hin. Seit einem Monat war der Sammler in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>, er hatte sich<br />

in dieser Zeit kaum aus der Botschaft in die Stadt begeben. Vielmehr hatte er sich mit Berechnungen<br />

und Abmessung vieler Karten und Projektionen beschäftigt, hatte Bücher gewälzt und lederne Hülsen<br />

voller staubiger, verblichener Pergamente. Und er hatte sich so oft in Vun'basvreí versetzt, daß die<br />

Anspannung inzwischen merklich seine körperliche Gesundheit gefährdete; auch war er so<br />

ausgelaugt, er fühlte sich fast schon außerstande, im Nebel das Bewußtsein von Ah'kaldach zu<br />

beherrschen. Hinzu kamen die notwendigen Drogen.<br />

Aber das wirklich bedenkliche war ja, daß seine ganzen Bemühungen, alle Versuche ergebnislos<br />

geblieben waren.<br />

Dabei war der Ruf so stark gewesen. Fast schmerzlich, je näher er der Stadt gekommen war. Jedoch<br />

kaum daß er sich innerhalb ihrer Mauern befunden hatte, war es verschwunden. Fort. Als hätte man<br />

einen Topf darüber gestülpt. Lanungo war verwirrt gewesen, sicher - indes hatte er mehrere Tage<br />

jeglicher Ruhe entbehrt, er hatte gedacht, die Mühen der Reise hätten seine Empfindung getrübt.<br />

Doch jetzt - er spürte nichts! Was heißt 'spüren' - er war sich nichts bewußt. Die Stadt, die ihn so sehr<br />

gerufen hatte, war nun eigentlich nicht mehr für ihn vorhanden. Sie war weg.<br />

Lanungo war kein Neuling mehr auf den Pfaden der Atamanai. Wenn ihn etwas nach <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong><br />

gezogen hatte, und das über Tage und Wochen hinweg, mußte etwas in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> sein, es sei<br />

denn, es war plötzlich entfernt worden oder er litt bereits unter qalansuw. Letzteres war nun doch<br />

ausgeschlossen - nach gerade 172 Jahren sollte man nicht daran denken, einer Alterserscheinung zu<br />

unterliegen, deren Anfänge frühestens! sich bei Greisen im Jahr der Dracheneiche zeigten. Außerdem<br />

hätte er gemerkt, wenn seine Fähigkeiten derart vermindert worden wären...<br />

Lanungo bedachte sich selbst mit einem recht unfreundlich gefauchten Schmähwort. Denk´ nach,<br />

schalt er sich, kann es nun sein, daß ein Domomai in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> gewesen ist, bei deiner Ankunft<br />

blitzgeschwind - 'entfernt' worden ist? Deinem Zugriff zu entziehen?<br />

Antwort - er krauste die glatte Stirn - mit gewöhnlichen Mitteln, auf gewöhnlichen Wegen nicht! Und<br />

hätte wer die Kunst gebraucht, es wie einen Schatten im Sonnenlicht verschwinden zu lassen, nun, das<br />

wäre Lanungo doch nicht entgangen! Doch nicht Lanungo! Nein.<br />

Andererseits...<br />

Der Sammler erhob sich mit einer derartigen Wucht, daß der Stuhl mit einem schleifenden Geräusch<br />

davonglitt. Und mit wehenden Kleidern eilte Lanungo aus dem Raum.<br />

In der Südstadt hatte der Regen die Straßen in einen kiesigen Lehm aufgeweicht, mit bräunlichen<br />

Pfützen und glänzenden, vereinzelten Pflastersteinen wie verbeultes, buckliges Eisenblech. Überhaupt<br />

schien alles metallisch-bläulich unter den dunklen Wolkenmeeren, die bis in die Berge den Himmel<br />

bedeckten.

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