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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Eine Art von Nacht - Jeanette Kaz<br />

getäuscht. Die Kerze war nicht von einem Luftzug gelöscht worden. Sie war bis in die tönerne<br />

Halterung hinein heruntergebrannt. Mehr noch. Das Wachs war bereits kalt. Etwas wie ein kalter<br />

Luftzug fuhr durch das Fenster herein, und Airan schloß mit klammen Fingern die Läden.<br />

Der Mann auf dem Bett stöhnte, und Airan schüttelte wild den Kopf. Nacht oder nicht Nacht, sie<br />

mußte ihm helfen. Immerhin war dieses Haus nicht so groß, daß sie nicht ohne Licht nach unten fand.<br />

In ihrem Zimmer befanden sich nicht nur die notwendigen Kräuter, Pasten und Tinkturen sondern<br />

auch frische Kerzen.<br />

Es dauerte jedoch einige Zeit, bis sie eine ausreichende Anzahl von Kerzen gefunden hatte, um ihren<br />

Arbeitsraum ausreichend zu beleuchten. „Verdammt, verdammt, verdammt!“ fluchte Arian leise.<br />

Hätte sie nur die Lieferung, die das Mutterhaus geschickt hatte, schon gestern ausgepackt! Statt<br />

dessen mühte sie sich jetzt, im flackernden Kerzenschein die spinnwebfeine Tintenbeschriftung zu<br />

entziffern, die die einzelnen Päckchen kennzeichnete. Glücklicherweise war die hölzerne Kiste<br />

sorgsam mit Wachstuch ausgeschlagen, um zu verhindern, daß die Sendung Feuchtigkeit zog - und die<br />

Beschriftung nicht verwischte.<br />

„Weidenrinde, Weidenrinde, Weidenrinde. Die können doch nicht vergessen haben, mir Weidenrinde<br />

zu schicken!“ Airan wühlte tiefer in der Kiste. „Ringelblume - auch nicht schlecht. Aber erst einmal<br />

brauche ich … Was ist das hier? Hm … gelbe Schlüsselblumen … nein, das ist jetzt nicht das richtige<br />

…“ und das Päckchen landete in der Ecke des Raums. „Oh, fantastisch, Holunderblüten … und hier,<br />

Johanniskraut … Wo ist nur die dreifachgehämmerte Weidenrinde?“<br />

„Was tust Du denn da?“<br />

Airan fuhr herum. In der Tür stand Rain, bereits gewaschen und geschniegelt, wie es aussah. Sie trug<br />

unglaublicherweise sogar ihre Flügelhaube. „Dem Mann geht es schlechter. Ich brauche dringend die<br />

Weidenrinde, die ich beim Mutterhaus bestellt habe und kann sie nicht finden!“ Hektisch wühlte<br />

Airan weiter, mittlerweile mußte sie sich bis zur Leibesmitte in der Holzkiste beugen. Rain seufzte,<br />

nahm sich eine der vielen Kerzen vom Tisch und beugte sich zu den verstreut herumliegenden<br />

Päckchen hinunter. Beim Aufsammeln sortierte sie diejenigen zusammen, die mit gleichen<br />

Markierungen versehen waren. Dann stutzte sie.<br />

„Weidenrinde, Airan. Hier sind zwei … nein, drei Päckchen davon. Du mußt sie übersehen haben.“<br />

„Süßes Hale! Entschuldige, ja, ich weiß ja, 'Ordnung ist das halbe Leben' und so weiter, aber ich habe<br />

es fürchterlich eilig …“ Rain faßte sie am Arm. „Du wirst doch sicherlich noch andere Dinge für<br />

seine Behandlung brauchen, nicht?“<br />

„Ja, bestimmt. Aber er hat fürchterlich hohes Fieber - das muß von der entzündeten Wunde kommen.<br />

Also muß ich das zuerst tun …“ Sie schnappte sich das Päckchen aus Rains Hand und war schon auf<br />

halbem Weg zur Tür, bis die Bibliothekarin sie zu fassen bekam. „Halt doch einen Augenblick still!<br />

Süßes Hale, glaubst Du ich kann weiter nichts als Lesen und Schreiben? Sag' mir, was mit dieser<br />

Rinde geschehen soll, und ich kümmere mich darum, während Du zubereitest, was Du sonst noch<br />

brauchst.“ Airan sank einen Moment gegen sie, holte tief Luft und nickte dann. „Du hast recht. Ich<br />

habe das alles schon hundertmal getan, ich weiß gar nicht, warum ich jetzt so in Panik gerate …“<br />

„Es ist immer noch stockdunkel draußen. Hast Du das gemerkt?“<br />

„Ja, sicherlich, aber ich muß zuerst diesem Mann helfen …“<br />

„Natürlich. Selbstverständlich hat dieser Umstand auch nichts damit zu tun, daß Du hier<br />

herumspringst wie ein Huhn ohne Kopf, oder?“ Sie faßte nach Airans Arm und führte sie zu einem<br />

kleinen Hocker, der in der Ecke stand. „Jetzt setzt Du Dich zwei Minuten hin und erklärst mir, was<br />

ich zu tun habe. Ich werde alles genau so machen, wie Du es mir sagst, während Du fertigmachst, was<br />

immer dir nützlich erscheint. Und dann werden wir uns mit Viril in die Küche setzen und über diesen<br />

unglaublich dunklen Tag reden. In Ordnung?“<br />

Airan holte tief Luft. Sie streckte ihre Hand aus und erschrak über das starke Zittern. Langsam, dachte<br />

sie und zwang sich, ihre Atmung zu kontrollieren. Ganz langsam. Ein - aus. Nochmal. Ein - aus.<br />

Besser, viel besser, so. „Also gut“, sagte sie, „Du brauchst … laß' sehen … Weidenrinde natürlich,<br />

aber auch das Paket mit Holunderblüten, daß dort drüben auf dem Tisch liegt. Und … ja, wenn wir<br />

noch Wacholderbeeren in der Küche haben, dann die auch. Dann bringst Du … sagen wir, zwei von<br />

den großen Waschkannen voll Wasser zum kochen und wirfst alles hinein - für … für“, sie rieb sich<br />

die Augenbrauen, „ach, eben bis das Wasser eine kräftige Färbung angenommen hat. Wenn Du alles<br />

durch ein Tuch geseiht hast, habe ich wenigstens schonmal den fiebersenkenden Tee.“

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