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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Stiefkinder des Schöpfung I: Die vier Jahreszeiten - Marc Rösel<br />

ein erstes mal. Ich kam langsam aber sicher zu der Einsicht, daß mit mir etwas entschieden nicht<br />

stimmte.<br />

„Du bist hübsch, Atakuela,“ sagte die Dämonin mit falscher Freundlichkeit. „Hast du das eigentlich<br />

jemals bemerkt? Hast du je in den Spiegel geschaut und zu dir selbst gesagt: ich sehe gut aus, ich<br />

gefalle mir?“ Sie lächelte wie eine Raubkatze. „Und besonders hübsch bist du, wenn du wütend bist.<br />

Deine Augen sprühen Blitze, und dein zerzaustes Haar scheint von eigenem Leben erfüllt. Du solltest<br />

öfter wütend sein.“<br />

„Die meisten sehen mich nur ein einziges Mal wütend. Kurz bevor ich sie töte,“ entgegnete ich mit<br />

soviel Kälte in meiner Stimme, wie ich angesichts des Kribbelsn in meiner Körpermitte aufzubringen<br />

vermochte.<br />

Sie seufzte theatralisch. „Gefährliche Frauen haben einen besonderen Reiz. Also, ich denke, im<br />

„Succube“ würden sich die Männer die Finger nach dir lecken. Und ich würde dich auch nicht von<br />

meiner Bettkante schubsen, Süße...“<br />

„Das reicht, Ys. Laß sie in Ruhe,“ hörte ich durch das Schwindelgefühl in meinem Kopf die Stimme<br />

von Kestril Dimitri, der neben die Dämonin trat und sie von mir wegzog. Sie warf ihm die Arme um<br />

den Hals und gab ihm einen wilden Kuß, wie ein geiferndes Raubtier, das ihn verschlingen wollte.<br />

„Du bist wohl eifersüchtig, mein Hübscher, hm?“ neckte sie ihn.<br />

Ich fühlte mich gedemütigt und beschmutzt. Ich hatte mich verspotten lassen wie ein eingechüchtertes<br />

Schulmädchen, hatte mir Yssas Schmähungen angehört, als wäre ich auf den Mund gefallen. Mir fiel<br />

einfach keine passende Erwiderung ein, mit dem ich das Blatt wenden und die Sukkubus so<br />

bloßstellen konnte, wie sie es mit mir tat. Es mußte an diesem verfluchten Haus liegen! Es saugte<br />

mich aus wie ein Vampir, hatte mir bereits meinen Blick gestohlen und jetzt auch meine Zunge.<br />

Verärgert wischte ich die lästige Strähne aus meinem Gesicht. „Wenn das kleine Mädchen<br />

ausreichend gespielt hat, können wir ja wieder sachlich werden,“ versuchte ich von meiner<br />

Schmähung abzulenken. „Falls du etwas Konstruktives beizutragen hast, dann tu es - oder geh nach<br />

draußen und such dir auf der Straße einen willensschwachen Knaben, mit dem du weiterspielen<br />

kannst.“<br />

Mein Tonfall schien einiges von seiner gewohnten Schärfe zurückgewonnen zu haben, denn Yssa<br />

machte zwar den Mund zu einer Entgegnung auf, schloß ihn aber wieder, ohne etwas gesagt zu haben.<br />

Zu meiner Genugtuung mußte ich feststellen, ihr den Wind aus den Segeln genommen zu haben. Und<br />

doch schämte ich mich auch dafür, zumindest vor mir selbst. Ich hatte mich auf Yssas Niveau<br />

herabgelassen und benahm mich selbst wie ein zänkisches Kind.<br />

„Hier sind Menschen gestorben,“ flüsterte die empfindsame Eolyn. Tränen schimmerten in ihren<br />

Bernsteinaugen. „Ich verstehe dich nicht, Yssa Caerdonthiel.“<br />

Die Sukkubus wirkte für einen kleinen Augenblick schuldbewußt, hatte ihr Selbstvertrauen aber<br />

sogleich wiederhergestellt. Sie setzte eine ernste Miene auf (Yssa ist eine sehr gute Schauspielerin,<br />

das muß man ihr lassen) und löste sich von Dimitri. Sie räusperte sich, straffte ihren Körper, und fast<br />

konnte man meinen, sie stehe hinter einem Rednerpult, als sie in dozierendem Tonfall zu sprechen<br />

begann.<br />

„Ihr alle habt gegen Mitternacht eine Flöte gehört, manche im Wachsein, andere im Schlaf. Nicht<br />

wahr? Und danach sankt ihr in eine tiefe Besinnungslosigkeit, die erst durch das Licht des Morgens<br />

von euch gewichen ist. Auch ich vernahm die Flöte, und obschon ich den Zauber kenne und so sehr<br />

ich mich dagegen stemmte, erlag ich ihm letztendlich doch. So konnte der unbekannte Eindringling<br />

Einlaß finden in das Haus, ohne daß ihn ein Unbeteiligter aufhielt oder bemerkte. Nur vier Personen<br />

waren nicht in den schwarzen Schlaf gesunken: Ludomill Penhaligon, der dem Flötenspieler auf den<br />

Treppen, die zur Wohnung der Fehelis hinaufführen, entgegentrat, sowie Absidian und Xelesia mit<br />

ihrem Sohn.“ Sie machte eine kurze Kunstpause und blickte aufmerksam in die Runde, ehe sie<br />

fortfuhr. Es bereitete ihr Vergnügen, daß alle ihren Worten gebannt lauschten, so als sei sie eine<br />

Professorin und keine Dirne. „Die Kreise und Sterne auf dem Boden sind mächtige Schutzzeichen,<br />

sowohl gegen einen magischen als auch einen materiellen Angriff. Ich kenne die meisten davon, und<br />

kann mit Gewißheit sagen, daß derjenige, der hindurchgebrochen ist, über eine beachtliche Macht<br />

verfügen muß. Ich hätte das nicht vermocht. Absidian und Xelesia waren fähige Zauberer. Sie müssen<br />

gewußt haben, daß in der vergangenen Nacht ihr Feind im Anmarsch war, denn es dauert viele<br />

Stunden, solche Schutzkreise zu ziehen und den darin enthaltenen Zauber zu aktivieren, Sie haben<br />

sich verschanzt und dem Kommenden geharrt. Aber der Eindringling erwies sich als stärker denn ihre

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