Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Erkenntnis - Thomas Peter Goergen<br />
„Ich ersuche Euch nochmals, den Mann dort freizugeben!“<br />
„Dummkopf!“ schrie der Kasralit. „Du wirst sein Schicksal teilen, was denkst Du denn? Daß eine<br />
mistige Kakerlake, die sich durch meine Räume stiehlt, groß noch fordern darf, wenn ich grad´ eine<br />
andere zertrete??“<br />
Für solche Unhöflichkeiten sei der Zeitpunkt äußerst ungünstig, bemerkte der Atamane.<br />
„Wie recht Du hast! Du wirst eine Zierde der Arena sein!!“<br />
„Das dürfte“, versetzte Lanungo eisig, „die Möglichkeiten Eurer Veranstaltung übersteigen!“<br />
Chattar beruhigte sich sofort. Das gierige Grinsen bleckte wieder seine Zähne. Leicht federte der<br />
Kasralit von einem Bein aufs andere: „Wir werden ja sehen“, sagte er freundlich, und dann: „Faßt<br />
ihn!“ schnellten seine Knechte hinter ihm hervor und stürzten sich auf den Atamanen.<br />
Den war es gelungen, das Abgelenktsein der Knechte zu nutzen, vorsichtig seine Fesseln zu lockern<br />
und einzelne Stricke zu zerreissen. Er sah nicht, was sich dort hinten abspielte, denn alles drängte sich<br />
am Ende der Gasse; sein einzige Gedanke war, die Seile loszuwerden, seinen Knochen zu greifen...<br />
„Nicht so schnell“, und wieder traf ihn der gemeine, rotlackierte Stiefel, während das scharfe<br />
Schleifen eines aus der Scheide gleitenden Schwertes ihm in die Ohren drang. Chattar ragte über ihm<br />
auf, ein turmhoher Mann in blutrotem Gewand, und einen blauen, damaszierten Krummsäbel hielt er<br />
dem Nuu-Giik an die Kehle. Wieder das grausame Zähneblecken: „Nicht - so - schnell - mein<br />
Freund!“<br />
Im nächsten Augenblick riß ihn etwas von den Füßen, schleuderte ihn einen Sprung weit in den<br />
hitzetrockenen Schmutz der Straße. Er schlug so hart auf das Pflaster, daß glühende Kreise vor seinen<br />
Augen tanzten. Er schüttelte sich; dann entrang sich ihm ein schriller Schrei: o entsetzlich, beim<br />
Wanst der tausend Teufel... Schmutz... Dreck, Morast - er, sein Bart in der Gosse... Mit einem Schrei<br />
warf er sich herum, das vornehme Kleid besudelt und aufgerissen. Ein kleiner Blutfaden rieselte von<br />
der Stirne, dort, wo er aufgeschlagen war.<br />
Der Atamane betrachtete gerade aus der Höhe seines Wuchses den Nuu-Giik, der sich mühselig, leicht<br />
benommen, allmählich aus den Fesseln wand. Er machte keinerlei Anstalten, dem am Boden<br />
Liegenden zur Hand zu gehen. Aber er hob den Kopf, als er den Kasraliten auf sich zuwanken sah.<br />
„Ich bitte Euch“, sagte er nur, der mitleidlose Vorwurf in seiner Stimme war nicht zu überhören.<br />
Der Leiter der Arena starrte ihn aus weitaufgerissenen Augen an. Seine Männer lagen etwas abseits,<br />
ein kurzes Stück entfernt. Der Krummsäbel lag unschlüssig in seiner Hand, und sein Blick ging von<br />
dem Bärenmenschen zu dem Atamanen und zurück... Er wird sich befreien, schoß ihm durch den<br />
Kopf und „Selefra hilf´!“, als er den unverwandten Blick des Roten spürte; Lanungo indes schaute<br />
kurz auf den Nuu-Giik. „Ihr kommt zurecht?“ erkundigte er sich recht teilnahmslos.<br />
Den´s Blick zuckte nur mit einer Mischung aus Angst und Zuneigung zu seinem Retter empor: das<br />
Gespenst, bei seinem Volk „Blutswanderer“ genannt, bisweilen aufgestiegen aus der Tiefe der Täler<br />
vor vielen Jahren - „sie sind zu meiden“, hatte das Väterchen der Märchen gemahnt, das nur einmal,<br />
als Den dabeisaß, und nur kurz auf die Blutswanderer zu sprechen kam, „denn sie sind von<br />
unglücklichem Wesen und tragen ihr Unglück zu allen Völkern dieser Welt... Einst kamen sie zu<br />
unseren Ahnen und sie nahmen ihnen den größten roten Stein, der jemals in den Händen der Nuu-Giik<br />
gewesen war - und trugen ihn fort, in ihr fernes, rotes Reich, wo sie inmitten von Gespenstern und<br />
Seelen unglückliche Könige sind...“<br />
Lanungo´s Lippen umspielte ein Lächeln. Der Nuu-Giik hatte ein Wort gemurmelt, ein Nuuksch-<br />
Wort, Blutspilger lautete es übersetzt. Ja, er kannte die Sagen, war selbst einmal in den multorischen<br />
Bergen gewesen, vor gerade mal, ach, fünfzig, sechzig Jahren... Er seufzte leise.<br />
Chattar Kan schlitzte die Augen; seine ganze Gestalt, wiewohl über ein und ein halben Sprung, wurde<br />
fast katzenartig und geschmeidig, spannte sich in jeder Faser des Leibes: der verfluchte Rote, das<br />
stinkende Vieh, beide vernachlässigten ihn just, nur miteinander beschäftigt - „seinen Raub<br />
begutachten“, knirschte der Kasralit innerlich, „der Wilddieb - das wird ihn...“<br />
Lautlos sprang er vor.<br />
Sein Säbel beschrieb einen singenden, weiten Bogen in Richtung der roten Flanke, und selbst seinem<br />
eigenen Auge erschien die tödliche Waffe in der flinken Bewegung nicht mehr denn ein blau-weißer<br />
Strich - dann stürzte er wie in ein bodenloses Loch und noch während die Häuserwände als ein<br />
dreckig-braunes Etwas ihm entgegenschossen, erkannte er, daß er verfehlt hatte.<br />
Doch mit einer geschmeidigen Drehung fing er das Stolpern auf, um aus diesem Schwung Kraft zu<br />
gewinnen für einen nächsten Versuch - „der Gegner war nah, war nah!“ - ein roter Schlag blendete ihn<br />
einen Augenblick und er fühlte sein hilfloses Nachhintensinken... Blitzartig fuhr eine Faust vor ihm in