Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Eine Art von Nacht - Jeanette Kaz<br />
Eine Art von Nacht<br />
Jaenette Kaz<br />
„Das kann doch wohl nicht ihr Ernst sein!“<br />
Airan stemmte die Arme in die wohlgerundeten Hüften und starrte ungläubig den ausgeschwemmten<br />
Pfad hinab, der sich zu einer geteilten Stadt hinabwandt. Ungeduldig rammte sie den Wanderstab<br />
gegen den festgetretenen Boden. Ein wolliger Kopf schob sich unter ihrem ausgestellten Ellenbogen<br />
hindurch. Samtige Lippen versuchten, in den bauchigen aufgenähten Taschen ihres Gewandes<br />
irgendeine Leckerei aufzustöbern. Airan schob den Kopf des Esels unwirsch zur Seite und sah zu<br />
seiner Reiterin auf.<br />
„Wo liegt Dein Problem, kleine Schwester?“<br />
„Dieses … na, ja … dieses bessere Dorf liegt am Ende der Welt! Und sieh' Dir bloß an, wie<br />
heruntergekommen das Nest ist!“<br />
„Airan, Airan, Du hast Deine Lektionen vernachlässigt. Zunächst einmal ist <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> kein Dorf<br />
sondern ein wichtiger Handelsknoten. Zum anderen siehst Du im Augenblick hauptsächlich die<br />
Unterstadt, das Armenviertel, wenn Du so willst - warte nur ab, bis Du die Oberstadt gesehen hast.<br />
Und zum Dritten …“, sie klopfte Airan mit einer unterarmlangen, geschmeidigen Gerte auf die<br />
Schulter, „stellen wir die Entscheidungen des Mutterhauses nicht in Frage.“ Die kleine Schwester<br />
preßte die Lippen zusammen und wandte sich ab. Gelassen folgte ihr der Blick der Mutter Oberin, als<br />
sie, Verwünschungen vor sich hinmurmelnd, weiter voranstapfte.<br />
Ein Wagen kam neben der kleinen Frau auf dem Esel knirschend zum Stehen. Es war nur der erste<br />
von fünfen, aber dieser wurde nicht von einem Mietknecht geführt, sondern von Rain, der<br />
Bibliothekarin und Archivarin des neuen Hauses. Einen Augenblick musterte Viril sie und seufzte<br />
innerlich. Zu jung, dachte sie, viel zu jung eigentlich … Aber, nun ja. Rain erwiderte stoisch ihren<br />
Blick und zog nur leicht eine fast weiße Augenbraue hoch, um zu fragen, was dieser kleine Disput zu<br />
bedeuten hatte. Als die Mutter Oberin keine Anstalten machte, sich dazu zu äußern, zuckte sie die<br />
Schultern und trieb das Ochsengespann mit einem Schnalzen wieder in seinen zockelnden Schritt.<br />
Viril ließ die Wagen passieren, obwohl das hieß, das sie ihnen später in einer großen Staubwolke<br />
würde folgen müssen. Aber dies war der erste Blick, den sie auf die Stadt <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> werfen<br />
konnte, der erste Blick auf den neuen Nährboden, in den die Mütter ein schwächliches Samenkorn<br />
pflanzen wollten. Was mochte sie veranlaßt haben, gerade diesen Flecken auszuwählen? Nun, ja,<br />
sicherlich waren die Städte der gefürchteten Nordfaust nicht geeignet für den Orden der kleinen<br />
Schwestern - wo Frauen ein so eisernes Regiment führten, war kein Bedarf für eine Zuflucht, und an<br />
Ausbildungsstätten und anderen Notwendigkeiten mangelte es dort auch nicht. Die Multorier … Viril<br />
seufzte leise. Genug Arbeit und genug Bedarf für unsere Dienste in anderer Hinsicht, aber …<br />
sicherlich hatten die Mütter recht, wenn sie nicht gerade dieses Land für die ersten, schüchternen<br />
Ausbreitungsversuche des Ordens wählten. Militaristen bewegten sich in zu engen Toleranzgrenzen.<br />
Aber sicherlich, eines Tages …<br />
Mit etwas wie Wehmut dachte Viril an Hale zurück. Dort kannte jedermann die kleinen Schwestern,<br />
sie gehörten zum Straßenbild selbst des kleinsten Dorfes und niemand stellte ihr Dasein in Frage.<br />
Aber, wie die Mütter sagten, Hale war klein. Klein und schwach. Es war Zeit, die Arme auszustrecken<br />
und zu wachsen.<br />
���<br />
„Was glotzt Du so?“ fauchte Airan den jungen Wachsoldaten an. Er zuckte zurück und hob<br />
beschwichtigend die Hand. Die kleine Schwester schnaubte und wandte sich ab. Sie war sich sicher,<br />
daß die Stadtwachen hinter ihrem Rücken wieder grinsten und die steifen - aber nun staubbedeckten -<br />
Flügelhauben der kleinen Schwestern bewitzelten. Süßes Hale, dachte Airan, hoffentlich dauern die<br />
Formalitäten nicht zu lange!<br />
Hinter ihr entstand Aufregung und Durcheinander. Rain, die Archivarin, hob nicht einmal die Nase<br />
aus ihrem Buch sondern lümmelte weiter auf dem Kutschbock. Aber Airan wandte sich neugierig um.<br />
Die Wachsoldaten beeilten sich, die Zügel eines großen, schwarzen Pferdes zu übernehmen, das leicht<br />
tänzelte nachdem sein Reiter es verlassen hatte. Der Mann war recht groß, stellte Airan fest, und<br />
schien noch relativ jung zu sein. Sie zwinkerte, als sie feststellte, daß sein Haar schlohweiß war. Was<br />
konnte einen so jungen Mann ergrauen lassen? So wie die Wachen um ihn herumscharwenzelten,