Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Spiel - Thomas Peter Goergen<br />
Schädellappens, verursacht durch einen stumpfen Gegenstand, die des Mannes Schicksal<br />
abgeschlossen hatten.<br />
Die Sache stellte sich übrigens als umständlicher heraus als zunächst gedacht, denn um den Hals trug<br />
der Leichnam, unter einem Schal versteckt, die obsidiane Flamme der Brennergläubigen, und<br />
Parcesastres Pietät gebot die Rücksichtnahme auf etwaige Frömmigkeit, also bei diesem Mann die<br />
Einäscherung des Ober- und Unterleibes, die Ausbälgung des Kopfes mit der Asche und die Verschließung<br />
der geöffneten Augen mit einem Tropfen Kerzenwachs, wie es der Totenbrauch der<br />
Brenner vorschrieb.<br />
Parcesastre hatte sich in die Pflicht ergeben, nachdem der Kohleabdruck des Gesichtes auf Pergament<br />
gefertigt war, und die so verewigten Züge des Toten zu den anderen gelegt, die in bereits Dutzenden<br />
von Buchdeckeln, alle sorgsam datiert, in seinem Keller trockenlagerten.<br />
Kurz nach Tagesanbruch begab sich der Totengräber schließlich in die Unterststadt, um den schweren<br />
Beutel mit dem traurigen Inhalt zu vergraben. Als das Loch wieder verschlossen war, die kurzen<br />
Worte des Priesters, der wie so oft an dieser Stelle fehlte, von Parcesastre stellvertretend gesprochen<br />
waren, kehrte der Mann mit der weißen Strähne nach Hause zurück.<br />
In der kleinen Hütte hatte der Fremde sich an dem einzigen Tische niedergelassen. Darauf ruhte eine<br />
rechteckige Platte, zwei Pfeillängen die Kanten, aus stumpfem, blauem Stein.<br />
Eine Kerze verbreitete mäßiges Licht.<br />
Der Mann schien zu schlafen, er hatte die Augen geschlossen, das Kinn in den seidenweichen Kragen<br />
getaucht, die Hände in den Ärmel versunken. Langsam bewegte er sich, fast behaglich, auf dem harten<br />
Stuhl. Ein paar mal schnoberte er dösig durch die Nase. Er mochte vielleicht Stunden so verbringen.<br />
Doch er richtete sich auf und den dunklen, haifischartigen Blick auf den tiefblauen Stein; einmal war<br />
es, als zöge etwas gegen die Kerze, er starrte versonnen.<br />
Dann! schimmerte die Tafel, ein Licht, als hätte jemand im Innern des Steines eine Türe geöffnet.<br />
Weitere Lichter, in symmetrischem Abglanz, tauchten auf, verschwanden, kehrten zurück.<br />
Der behagliche Eindruck des Mannes war jäh verschwunden.<br />
Er war nun ganz der Jäger.<br />
Parcesastre entriegelte seine Pforte.<br />
Nicht, daß es viele Leute in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>, nicht einmal im Rattenloch, gegeben hätte, denen es ein<br />
Bedürfnis gewesen wäre; sich widerrechtlich, selbst bei sperrangelweit geöffneter Türe, Zutritt zu<br />
verschaffen zu dem schmalen Hause mit den das ganze Jahr über blühenden weißblauen Blütenranken<br />
und den ewig rauchenden Schloten. Es war mehr der Ausdruck eines geordneten Lebenswandels.<br />
Beim Eintritt aber stutzte der Totengräber und hob den Kopf. Er drehte sich um, sein Blick schweifte<br />
über die leeren Gassen.<br />
Er machte den Eindruck, als versuchte er die Worte eines weiter abseits stehenden Menschen zu<br />
verstehen, der ihn in nämlichen Augenblicke unvermittelt angesprochen hätte; weit und breit war aber<br />
niemand zu sehen, wiewohl der Totengräber den Kopf reckte, als lauschte er angestrengt.<br />
Unruhig spähte er aus den Augenwinkeln in den Himmel. Da war nun wirklich nichts, nicht einmal<br />
die roten Wintervögel, die sonst in dieser Gegend kreisten.<br />
Er senkte den Blick, kniff die Augen zusammen, wie verwirrt; als er sich dann umwandte, um endlich<br />
ins Haus zu gehen, war seine Miene besorgt und von mißtrauischer Wachsamkeit.<br />
In seiner Stube verharrte er ein Weilchen, nachdenklich, gedankenverloren.<br />
Da war ein Schrank aus grünem Holz, ein Schreibtisch mit vielen verborgenen und sichtbaren<br />
Fächern, die große, damaszierte Ampel von der Mitte der Decke herab, die Anrichte mit irdenen<br />
Schalen, Back- und Naschwerk und Gewürze darin in bunter Mischung, das runde Tischchen nach<br />
multorischer Schnitzart (es herrschte ein ganz eigentümliches Gewirr unterschiedlichster Möbelstile),<br />
auf dem eine silberne Schale stand, in dieser dann ein grauweißgeäderter Stein. Eine Türe führte in<br />
sein Schlafzimmer. Zwei Luken im Boden; die eine, die in den wärmenden Ofenkeller führte, die<br />
andere, die verschlossen war.<br />
Parcesastre ging zu dem runden Tisch und nahm, zögerlich, Platz in einem beistehenden, verschlissenen<br />
Sesselstuhl. Auf dem Tisch wartete die Silberschale mit dem, einige Pfeilbreit in klarer<br />
Flüssigkeit, schönen Stein, der in der Mitte ein gleichmäßiges, glattes Loch aufwies, das in der Zeit,<br />
in der er noch in einem Bachlauf gelegen hatte, vom fließenden Wasser ausgewaschen worden war.<br />
Parcesastre betrachtete den Stein.