Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Schattenspiele - Claudia Wamers<br />
zahlreiche Gestalten, daß wußte Bercan aus eigener Erfahrung, die nicht so zimperlich waren und den<br />
Mann einfach getötet hätten, und sei es nur für ein paar Schuhe. Jetzt hatte er wenigstens nichts mehr<br />
an sich, das die Mühe eines Überfalles lohnte...<br />
Bercan drückte sich noch etwas weiter an die Wand, in den Schatten eines überhängenden Daches, als<br />
er hinter sich eine leichte Berührung verspürte. Schnell hatte er seine Hand in etwas Weichem<br />
vergraben und zog ein Mädchen hinter sich hervor. Er hatte die Kleine noch nie gesehen, aber das<br />
wollte wirklich nichts heißen....<br />
Die Straßen des Rattenloches wimmelten nur so von herrenlosen Kindern. Man setzte sie einfach aus,<br />
weil man schon genügend Mäuler zu stopfen hatte.<br />
Irgendwann würden sie lernen für sich selber zu sorgen - oder sie würden früh sterben, sehr früh. Und<br />
auch wenn sie gelernt hatten für sich selber zu sorgen waren sie noch nicht außer Gefahr - im<br />
Rattenloch für sich selber zu sorgen hieß nämlich nur im aller seltensten Fall, sich eine sogenannte<br />
ehrbare Arbeit zu suchen. Meist wurde das schnelle Gold gesucht durch Diebstahl, Raub und<br />
käufliche Liebe.<br />
Die Kleine vor ihm, die übrigens wider erwarten weder heftig schimpfte noch kratzte, um sich trat<br />
oder biß, schien unter all ihrer Schmutzigkeit vielleicht acht oder neun Sommer zu verbergen. Sie sah<br />
ihn aus dunklen Knopfaugen abwartend an.<br />
„Suchst Du Dreckspatz meinen Geldbeutel? Soll ich Dir...“ Bercan schüttelte das Häufchen Lumpen<br />
und wuscheliges Haar vor ihm.<br />
„Suchst Du Geldsack Großmutter?“, fragte das Kind herausfordernd, „dann laß mich gefälligst los<br />
und binde Dir mal hübsch die Augen zu. Kannst mich Mitarra nennen - Übrigens, wenn ich ganz auf<br />
eigene Faust unterwegs wäre, dann hättest Du deine nächste Zeche nicht mehr bezahlen können - hier,<br />
dein Geldbeutel!“<br />
Die Kleine grinste ihn breit an und hielt ihm doch in der Tat den eigenen Geldbeutel unter die Nase.<br />
Nicht daß er hier, im Rattenloch, viel mit sich herumtrüge, aber...<br />
„Nu mach schon hin, Großmutter wartet nich ewig, nur weil Du mit Deiner Kledage nich<br />
klarkommst.“<br />
Bercan band sich sein Halstuch vor die Augen - es war einfach lächerlich, was sich hier abspielte!<br />
Und schon spürte er zwei entschlossene kleine Hände an seinem Arm und fühlte sich die Gassen<br />
entlanggezogen. Nur mühsam konnte er den nicht gerade seltenen Hindernissen auf dem Weg<br />
ausweichen, häufig stolperte er, konnte sich aber immer wider fangen.<br />
Nun hörte er ein leises Kichern, irgend etwas mußte das Mädchen, das ihn voranzog, köstlich<br />
amüsieren. Er wurde hin und her, kreuz und quer, durch die Gassen gezogen. Wieder kicherte sie,<br />
Bercan mochte es glauben, er mußte einen selten dämlichen Anblick liefern, wie er so... und da fing<br />
das Mädchen an, aus Leibeskräften zu jammern. Bercan zuckte richtig zusammen.<br />
„Habt Erbarmen, Hilfe für ein Kind und sein armen, blinden Onkel, habt Erbarmen. Gebt einem<br />
Blinden, ein Almosen, eine milde Gabe...“<br />
Bercan blieb wie angewurzelt stehen, jetzt war aber langsam Schluß mit den albernen Spielchen!<br />
„Gut, gut, wollte doch nur sehn, ob’s klappt und so’n paar Idioten ein paar Sonnen abdrücken würden.<br />
Hier, sind gleich da.“ Von nun an verhielt sich Mitarra ruhig. Und wirklich, es dauerte nicht mehr<br />
lange und diese Göre Mitarra meinte, sie seien am Ziel.<br />
Bercan wußte seit langem nicht mehr, wo genau im Rattenloch er sich befand. Aber so sehr die Kleine<br />
ihn auch in die Irre hatte führen wollen, daß er an der Spalte, direkt über der Spalte stand, daß konnte<br />
er spüren und riechen.<br />
Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, bis die Kinderhand ihn losließ und er die Finger auf<br />
den hölzernen Rahmen eines Wagens legen konnte. An dem Rand des Wagens empfing ihn eine<br />
andere Hand - Farlina.<br />
„Hallo, Bercan. Halt! Komme bitte noch ein paar Schritte vor, so, setz Dich hier auf den Tritt. In dem<br />
Wagen hier sitzt jemand, der Dir vielleicht zu Großmutter etwas sagen kann.“<br />
Bercan bewegte seine Hand zu seinem Kopf hinauf, er wollte die Augenbinde abnehmen und sich<br />
umsehen. „Behalte die Augenbinde bitte auf, hier gibt es nichts für Dich zu sehen.“, hörte er Farlina<br />
einwerfen.<br />
Er faßte sich in Geduld und wartete. Dann hörte er eine alte Stimme sprechen, eine alte aber warme<br />
Stimme, eben die Stimme einer Großmutter. Hier mußte er richtig sein.<br />
„Bercan Tibrand, kann es sein, daß ihr mich sucht?“