Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Spiel - Thomas Peter Goergen<br />
„Ihr müßt verzeihen, Herr“, setzte der eine an, „aber zumindest Euren Namen und den Ort Eures<br />
Aufenthalts - nur falls...“ Er hob die Schultern. „... eine Untersuchung, Ihr versteht“, ergänzte der<br />
zweite. „Nicht, daß es später heißt, wir hätten...“ Und er deutete mit dem Kopf nach hinten.<br />
Der Totengräber nickte, bat aber darum, da er in Eile sei, die Angelegenheit am Südende der Brücke<br />
erledigen zu dürfen, nicht etwa wieder zurückgehen zu müssen; die Soldaten willigten sofort ein,<br />
einerseits erleichtert über die Umgänglichkeit des Mannes, anderseits doch befremdet über die<br />
Gleichgültigkeit, mit der dieser offenbar das Geschehene aufnahm - als sie, ihn begleitend, den Weg<br />
fortsetzten, meinte der erste auch, irgend etwas beunruhigend-nachdenklich Stimmendes sagen zu<br />
müssen: „Ihr hattet“, sagte er, „großes Glück, müßt Ihr wissen!“<br />
Der Totengräber, den Blick starr nach vorne, hob nur fragend die Braue.<br />
„Jaja“, erklärte der Soldat fast eifrig, „hätte er Euch erwischt, hätte er Euch womöglich mitgerissen“,<br />
und er erblich ein wenig, als er den Fremden sagen hörte: „Das war auch beabsichtigt!“<br />
Beabsichtigt? Die Stimme des Soldaten klang schrill. Aber der Totengräber nickte nur mit ernster<br />
Miene.<br />
Den Rest des Weges legten die drei schweigend zurück.<br />
Wenig später befand sich Parcesastre in der Unterstadt. Die Angelegenheit in der Südfeste der Wache<br />
war vergleichsweise zügig vonstatten gegangen, den meisten Männer dort war er bekannt und deren<br />
Zuneigung zu ihm hielt sich in Grenzen. Man verabschiedete ihn so schnell als möglich.<br />
Nur als er das Tor durchschritt, gab es eine kleine Störung: ein Ziegel von einem der beiden Türme<br />
zerbarst keinen Tritt hinter ihm am Boden, wo er unmittelbar vorher gestanden, es vorgezogen hatte,<br />
einen kleinen Schritt nach vorne zu tun. Einer der beiden Soldaten, die ihn hergeleitet hatten, hatte<br />
stieren Blicks erst den Turm, dann den Totengräber auf- und abgestarrt, als hätte sich gerade höchst<br />
Außergewöhnliches zugetragen, hatte sich aber jede weitere Bemerkung versagt.<br />
So verließ denn Parcesastre unbehelligt die Feste und eilte nun durch die winterleeren Straßen des<br />
Rattenlochs.<br />
Er war wachsam und angespannt. Der Gegner hatte sich noch nicht geschlagen gegeben.<br />
In dem großen Haus an der breiten Straße waren die Fenster mit dunklen Tüchern verhangen, nur<br />
spärlich erleuchteten Kerzen die einsamen Räume. Vereinzelt huschten Menschen auf Zehenspitzen<br />
von Tür zu Tür, und unterdrückte Wortwechsel klangen aus allen Ecken und Winkeln.<br />
Vor dem Schlafgemach hatte sich eine Vielzahl gut gekleideter Herren um eigens herbeigeschaffte<br />
Tische und Bänke geschart und führten einen gedämpften Disput anhand schwerer Bücher und Bergen<br />
bekritzelten Pergaments. Ab und an trat einer durch die hohe Türe, um nach kurzer Zeit wieder<br />
kopfschüttelnd zurückzukehren: die Heiler <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>s waren einhellig ratlos.<br />
Die ehrenwerte Richterin Geral Broschakal war diesen Abend in eine tiefe Bewußtlosigkeit gefallen,<br />
aus der sie bis zur Stunde nicht erwacht war. Die Ursachen waren völlig unbekannt, es war weder Gift<br />
noch eine Krankheit (noch ein Fluch) mit letzter Sicherheit auszuschließen - allerdings unter den<br />
Heilern, die für sich in Anspruch nahmen, bisweilen auf die übersinnliche Kräfte der Kunst<br />
zurückgreifen zu können, herrschte ein ihnen selbst unerklärliches Unbehagen, sobald sie sich der<br />
Bewußtlosen auch nur näherten.<br />
Sarjana ging es ähnlich. Sie war als eine der letzten ans Lager der Kranken gerufen worden und kaum<br />
daß sie an das Bett herangetreten war, überkam sie ein Schwindelgefühl, wie einer Schwimmerin, die<br />
einen anderen aus einem Strudel herausziehen wollte und dabei selbst fast zu nahe an den Sog geriet -<br />
es war ihr, als wäre die Richterin wie in einem tauben Sog gefangen, vusla donne prado...<br />
Aber helfen konnte sie auch nicht. Die arme Frau lag mit blau überglänztem Antlitz reglos in ihren<br />
kalten Kissen, mit einem so grauenvoll leeren Gesicht, als wäre jede Empfindung aus ihr gewichen -<br />
ein Ausdruck des Schmerzes oder des Leides wäre im Vergleich dazu schier menschlich gewesen...<br />
Die Zeit verstrich.<br />
Das eingeschneite, schiefe Flachdach hatte etwas sauber haubenhaftes, etwas daunendeckiges, der<br />
dürftig rauchende Schornstein ragte wie ein schwarzer Bettpfosten daraus hervor - allerdings war das<br />
auch alles, was entfernt gemütlich schien an dem langgezogenen Haus mit dem rostigen Schild<br />
„Zweischneidiges Schwert“, daran die mächtigen Eiszapfen schon wieder geradezu grimmig wirkten.<br />
Die Fenster waren mit Brettern vernagelt, um die Kälte so gut es ging von drinnen fernzuhalten, und<br />
zu fortgeschrittener Stunde sollte man es sich gut überlegen, ob man zum Ein- oder Austreten die