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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Ein Eimer Bier und andere Verrücktheiten - Dietmar Cremers<br />

„Netter Versuch, Kleine!“ Tin von Erzfeld hielt die widerliche Göre am ausgestreckten Arm fest.<br />

Diese Frechheit war ja kaum zu glauben: Einer seiner ersten Ausflüge in die Unterstadt, nachdem er<br />

von diesen Katzenviechern beinahe in den Tod getrieben wurde, sein unzuverlässiger Diener Baran<br />

hatte sich gerade für ein kurzes Geschäft in die Schenke entfernt und prompt hatte dieser ekelhafte<br />

Fratz versucht ihm die Geldbörse zu stehlen! Nun ja, Frechheit siegt nicht immer. Vielleicht sollte er<br />

ihr die Finger brechen. Oder doch besser gleich den ganzen Arm? He, warum eigentlich nur einen?<br />

Aber, verflucht, noch während er sich seinen herrlich sadistischen Gedanken hingab, hatte sich die<br />

Diebin losgerissen und jagte die offene Straße hinunter. Gut, dann eben eine schnelle Strafe! Mit<br />

einem hastigen Ruck griff sich Tin die schußbereite Armbrust.<br />

In diesem Augenblick kam der Mann mit dem Bärenfell aus dem Zweischneidigen Schwert ... und<br />

verkannte die Situation völlig. Ein junges Mädchen floh vor einem bösartigen Knaben mit einer<br />

Armbrust. Die Kleine wirkte unschuldig mit ihrem braunen Haar und den braunen Augen. Nein, eine<br />

solche Sachlage mußte geradezu eine Herausforderung für jeden wahren Sohn der Berge sein. Daß der<br />

Angreifer an einen beweglichen Stuhl gefesselt war, machte es nicht besser: Er hatte die Waffe, also<br />

war er der Jäger und die Kleine das Reh! Ein paar schnelle Schritte und ein kurzer Hieb auf die<br />

gespannte Armbrust waren eins für Den. Die Waffe zerbarst in der Hand, der Pfeil fiel nutzlos zu<br />

Boden. Mit einem Blick vergewisserte er sich, daß das fliehende Mädchen außer Reichweite war. Als<br />

er sich wieder umwandte um dem Jäger ein paar wütende Ermahnungen über den echten Sinn einer<br />

Jagd zukommen zu lassen, bekam er mit voller Wucht einen Stein von der Seite ins Gesicht<br />

geschleudert. Der ihn geworfen hatte, war ebenfalls aus dem Wirtshaus gekommen: ein größerer<br />

Mann mit einem entschlossenen Gesicht, der nun auf Den zujagte. „Schnapp’ ihn dir, Baran“, schrie<br />

das Scheusal im Rollstuhl. Allem Anschein nach waren genau das die Worte, die Baran nicht nur<br />

täglich hörte, sondern denen er auch gewohnheitsmäßig Folge leistete, denn noch im Laufen<br />

krempelte er sich die Hemdsärmel mit der mechanischen Geste eines geübten Schlägers auf. Keine<br />

Zeit für lange Reden: Den stieß den anstürmenden Klotz beiseite, sprang über den geifernden Tin<br />

hinweg und gab Fersengeld. Im Rennen noch hörte er die Worte, die er aus seiner Heimat nur allzu<br />

gut kannte: „Du verdammtes Vieh! Dich kriege ich, wart’s nur ab!“<br />

Erst einige Hausecken weiter, in einer unbekannten Umgebung, erkannte Den, daß er nicht mehr<br />

verfolgt wurde. In der Dunkelheit der Nacht fand er einen Heuhaufen, kroch hinein und schlief wenig<br />

später erschöpft und leicht angetrunken ein. Er hatte eine gute Tat getan!<br />

„Ein Nuu-Giik ist in der Stadt, Meister!“ Bröbbel küßte mit wahrem Feuereifer den Saum der<br />

flammend roten Robe seines Herrn. Artin Rebur, seines Zeichens Kopfgeldjäger von bedeutendem<br />

Ruf, verzog angewidert das Gesicht. „Steh’ auf, Bröbbel, und wische gefälligst deinen schleimigen<br />

Sabber von meinem Umhang! Ein Nuu-Giik, sagst du? Niemand in den Ostländern hat je einen zu<br />

Gesicht bekommen. Ich selbst las vor einigen Jahren, sie seien ausgestorben. Also, lügnerische Kröte,<br />

was hast du wirklich gesehen?“ - „Mit Verlaub, oh Beherrscher der magischen Fessel, laßt mich Euch<br />

korrigieren.“ Bröbbel wimmerte und wand sich. „ Meine Wenigkeit dürfte tatsächlich der einzige<br />

Mensch in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> sein, dem je eine dieser abscheulichen Kreaturen begegnet ist. Als ich ein<br />

kleiner Junge war, verdiente ich ein paar kümmerliche Bronzesonnen mit Fingerübungen in anderer<br />

Leute Taschen. Nicht ohne ganz außerordentlichen Erfolg, wie ich Euch untertänigst berichten kann.<br />

So gelangte ich einst auf den Markt von Agranon, einem dreckigen Kaff in der Wolfshöhle. Eine<br />

Gruppe fahrender Gaukler vollführte dort ihre armseligen Kunststückchen. Einer von ihnen hatte<br />

einen abgemagerten Nuu-Giik an einer langen Kette. Er ließ ihn für die Menge tanzen und gegen eine<br />

kleine Münze durfte man den Pelz in seinem Gesicht anfassen. Er war so ... flauschig. Wenig später<br />

wurden die Gaukler verhaftet. Der Nuu-Giik starb kurz darauf und wurde auf irgendeinem Acker<br />

verscharrt.“ - „Na und? Was kümmert mich deine schäbige Jugend?“ Artin Rebur trommelte<br />

ungeduldig mit den Fingern. „Aber, oh Meister aller Schatten, drüben im Imperium zahlen sie für<br />

einen erwachsenen Nuu-Giik bis zu 30 Goldsonnen! Und dieser hier ist kräftig gebaut. Wir würden<br />

vielleicht sogar etwas mehr bekommen. Ihr müßtet ihn Euch nur einfangen.“ Bröbbel’s gierige Augen<br />

leuchteten. „Armer kleiner Bröbbel.“ Die kalte Stimme des Kopfgeldjägers wurde beinahe mitleidig.<br />

„Wenn die alten Schriften stimmen, dann wollen sie zu Hause den ganzen Körper eines lebenden<br />

Exemplars. Sie opfern ihn dort irgendeiner komischen Gottheit, nicht wahr? Und jetzt, mein<br />

zurückgebliebener Freund, rechne nur einmal nach. Wenn dieser hier so stark ist, wie du sagst, dann<br />

ist er das bestimmt nicht nur äußerlich. Die Nuu-Giik sollen auch eine erstaunliche Willensstärke,

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