Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Erkenntnis - Thomas Peter Goergen<br />
Man mußte warten, bis der rote Jäger einen von sich aus ansprach. Allein, das hatte dieser bisher nicht<br />
getan! was womöglich hieß, daß er eine ganz andere Perle im Auge hatte, als die von Zir...<br />
Er fingerte die Perle aus seinem Beutel und betrachtete sie.<br />
In diesem Augenblick johlte es hinter ihm auf; er schloß sofort seine Klaue und blickte herum: eine<br />
Gruppe Gaukler, Fahrendes Volk, Nush'quai in ihren bunten Gewändern, mit Schellen und allerlei<br />
Spielkram in Händen, war in den „Totenschädel“ eingezogen und während einige von ihnen sich an<br />
den Schanktisch begaben, fingen andere an, auf ihren Flöten und Geigen zu spielen. Sogleich scharten<br />
sich die Gäste um die Musikanten, klatschten und gröhlten die Lieder mit...<br />
Zir beobachtete diese Leute neugierig. Die Bleichhäutigen gab es in so vielen Arten und Formen, und<br />
alle waren sie sonderbar - es gab Braunhäute, Blauhäute, Gelbhäute, jetzt sogar Rothäute. Doch gefiel<br />
ihm der Auftritt, machte er doch gute Stimmung, und singend und tanzend waren die Beichhäutigen<br />
noch am umgänglichsten... Er merkte sogar, wie er bereits mit seiner dreidornigen Fußklaue begonnen<br />
hatte, im Takt der lustigen Weise mitzuwippen.<br />
Eine junge Frau mit herrlich blauen Augen wirbelte inzwischen, ihre weiten Röcke wie ein fliegendes<br />
Rad, durch die Stube - die teils derben Zurufe der begeisterten Männer beantwortete sie ebenso derb,<br />
aber lachend; ihre roten Haare flogen, als sie über ihre Brüder sprang, die in knienden Tanz gegangen<br />
waren und sie klatschend anfeuerten und umlagerten. Sie lachte laut, und ein goldenes Amulett blitzte<br />
um ihren Hals...<br />
Plötzlich schrie sie auf. Alles verstummte.<br />
Sie stieß einen langen und gellenden Schrei aus, dann riß sie an der Kette, um ihren Hals, schleuderte<br />
sie zu Boden. Im selben Augenblick fühlte Zir einen stechenden Schmerz in seiner Klaue, so<br />
entsetzlich und jäh, daß er mit einem gequältem Fauchen die Krallen öffnete - die schwarze Perle<br />
kollerte auf den Tisch...<br />
Seine grüngeschuppte Haut wölbte sich übelriechend, eine kleine, kreisförmige Brandwunde zischte<br />
an seiner Faust... Und die junge Nush'quai, die kreischend, Worte in einer fremden Sprache, in die<br />
Arme eines ihrer Freunde fiel, zeichnete genau auf der schönen, weißen Brust mit den zarten, hellen<br />
Sprenkeln ein rechteckiges, längliches Brandmal - und rechteckig und länglich war der Anhänger an<br />
der Kette, der nun golden auf den Bohlen glomm!<br />
Lanungo erwachte mit einem Schrei.<br />
Allgemein erhob sich ein Tumult: „Hexerei“, brüllte da wer, da und dort wurden die ersten Dolche<br />
gezogen. Krüge gingen zu Bruch und zwei, drei Gäste flohen in die Nacht. Die weinende Tänzerin<br />
wurde von ihren Brüdern gestützt; im Hintergrund schrie der Wirt zornig auf das Volk ein.<br />
Zir starrte von seiner Klaue auf die Perle, hin und her. Große Hölle der Sümpfe, dachte er, was ist das<br />
für ein Teufelswerk... Jemand stieß von hinten gegen ihn, unbedacht, aber Zir wurde gegen den Tisch<br />
geschmettert, die Perle machte einen schwarzblitzenden Satz - im letzten Augenblick, bevor sie in die<br />
Stampede der Gäste geraten wäre, schnappte sie die Krallenhand des Echsen, und ließ sie so schnell<br />
in seiner Tasche verschwinden, daß er gar nicht sagen konnte, ob immer noch das teuflische Glühen<br />
von ihr ausgegangen war... Er packte seinen Hammer, drängte sich zur Türe und stürzte hinaus.<br />
Inzwischen hatte sich ein Kreis um das goldene Amulett am Boden gebildet: alle deuteten auf die<br />
Brust der Tänzerin, redeten erregt aufeinander ein und viele heilige Zeichen verschiedener Gottheiten<br />
wurden geschlagen in Richtung des verhexten Schmuckstücks. Ein kleiner, alter Fiedler warf<br />
schließlich ein Tuch über die Unglückliche, versuchte sie mit Hilfe der anderen Fahrensleute<br />
hinauszubringen - aber dem widersetze sich die Menge heftigst. Konnte man denn ausschließen, daß<br />
dieses Weib nicht doch mit bösen Mächten im Bunde stand? Vielleicht war das Amulett ja im<br />
Gegenteil ein gesegnetes Stück, das die Frau für eine Frevelei gebrandmarkt hatte? Feuerprobe,<br />
Feuerprobe, wurde gefordert, und die Gaukler und Musikanten wurden starr vor Angst.<br />
„Was ist denn hier geschehen?“ setzte sich da eine tiefe Stimme über den wüsten Lärm hinweg.<br />
„Yanec!“ Der Wirt zwängte sich durch; eine Axt umklammert, aber mit erleichterter Miene. „Yanec!<br />
Ihr kommt gerade recht...“ Und dann bedrängten sie den Ordenskrieger der Hesvite, jeder versuchte zu<br />
schildern und in einem zu erklären...<br />
„Bitte!“ Der hochgewachsene Mann mit dem schwarzen Bart hob beschwichtigend die Hände. Was<br />
der Aberglaube doch aus gestandenen, harten Männern und Frauen für Kinder machen konnte... Er<br />
wandte sich an die Spielleute. „Habe ich das richtig verstanden“, fragte er, „Eure Gefährtin wurde auf<br />
unerklärliche Weise - verbrannt? Durch das Amulett?“ Sie nickten eifrig, aber immer noch verstört.