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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Erkenntnis - Thomas Peter Goergen<br />

„Eine stolze Zahl. So viele Hinterhalte... Und ich nehme an, gar nicht so schlecht geplant und<br />

durchgeführt. Ihr habt ja Übung mit dergleichen...“<br />

Seltsamerweise warf der Abden warf den Kopf zurück und lachte. „Bei allen Teufeln“, rief er endlich,<br />

„kein König könnte jemals einen besseren Hofnarren gehabt haben. Ich muß zusehen, daß Ihr eine<br />

angemessene Schellenkappe erhaltet!“ Und, herumwirbelnd, schlug er die Faust auf einen prächtig<br />

ziselierte Altar aus multorischer Jade. Das darauf folgende Schweigen hatte etwas messerscharfes.<br />

Schließlich bemerkte der Unsichtbare: „Ihr und Eure Attentäter könnt ihn sicher nicht wirklich<br />

verletzen!“<br />

„Ach nein!“ Der Abden schnob verächtlich durch die Nase.<br />

Die Stärke eines Kämpfers, fuhr der andere aber fort, bemesse sich nach der seiner Lehrern und der<br />

seiner Gegner. „Sammler sind Schüler eines unabweislichen Berufenseins, haben als Gegner die<br />

ganze Welt! Kann es einen geben, der ihnen da überlegen wäre?“<br />

„Und was, abseits dieser gelahrten Fragestellungen“, erwiderte der Priester kalt, „soll ich Eurer<br />

Ansicht nach veranlassen?“<br />

„Unabhängig von der Stärke und den Fähigkeiten ist ein Kämpfer nur so gut, wie er wachsam,<br />

aufmerksam ist. Sonst ist er nichts anderes als ein blinder Tiger!“ Es gab ein Geräusch, als bewegte<br />

sich etwas über den steinernen Boden und plötzlich schien es, als huschte ein Schatten, riesenhaft und<br />

verzerrt, durch die Halle. Der Abden rührte sich indes nicht.<br />

„Unser Freund ist noch jung. Unerfahren. Und auch verletzlich! Ihr müßt seine Aufmerksamkeit<br />

zerstören“, flüsterte es. „Verwirrt ihn, macht ihn blind! Jedem Greisen wäre er hilflos ausgeliefert...“<br />

Der Abden vollführte eine fragende Geste. Daraufhin war wieder das eigentümliche Lachen zu hören.<br />

„Merkt auf, Cer Abden“, raunte es, „ich will Euch verraten, wie Ihr ihn für einen kurzen Augenblick<br />

wehrloser macht als den Säugling an der Nabelschnur...“<br />

Kurz vor Sonnenuntergang verließ Lanungo den „Totenschädel“.<br />

Sein Weg führte ihn in Richtung der Oberstadt, wo er sich in der „Fliegenden Taube“ für die nächste<br />

Stunde einen Tisch bestellt hatte. Da ihm zugetragen worden war, daß jenes Haus trotz der Jahreszeit<br />

noch über einen kleinen Vorrat an Seefisch! verfügte, den sie höchst umständlich zwischen aus den<br />

nördlichen Gletschern geschlagenen Eisblöcken aufbewahrten, und Lanungo selbst das Gleichgewicht<br />

der Dinge für einen guten Fisch verraten hätte, hatte er nicht gezögert, sich die besondere<br />

Aufmerksamkeit des Küchenmeisters durch entsprechende Zuwendungen zu sichern.<br />

Dementsprechend war er vergleichsweise guter Laune - auch wenn ihn der Anblick des sonnensatten<br />

Corwin dieses mal weniger erheitert als fast erbost hatte: schließlich hatte sogar ein Atamane noch ein<br />

Restempfinden dafür, wann er sein Gold zum Turme hinauswarf. Und der letzte Handel mit Dery war<br />

kaum ergiebig gewesen! Im Gegenteil mußte er den Nordländer noch einmal darauf aufmerksam<br />

machen, daß die Gerüchteküche in dieser Angelegenheit ihre Töpfe geschlossen halten solle, sonst<br />

würden sich noch ihre Köche den Magen verderben... Daß die Baldsterblichen das Grinsen dieses<br />

Mannes als „gewinnend“ bezeichneten, blieb ihm nach wie vor ein Rätsel.<br />

Aber der Sammler wischte diese schalen Gedanken beiseite - er durfte sich auf ein vorzügliches<br />

Nachtmahl freuen und auch, wenn dies angesichts der ehrwürdigen Pflichten eines Atamanai ein<br />

wenig leichtfertig schien, heute abend wollte er einmal pflichtvergessen im schönsten Sinne des<br />

Wortes sein. Keineswegs stand eine Ausschweifung bevor, wie sie ein Eot-hanubah womöglich im<br />

Auge hätte; aber auch kleine Freuden und geheime Genüsse geraten umso kostbarer, je seltener sie<br />

sind. Außerdem war im Bri nach hiesiger Zeitrechnung sein Tag des Aufbruchs gewesen, der<br />

eigentliche Geburtstag eines Sammlers, und was hatte er getan? In der Großen Bibliothek<br />

kasralitisches Handelsrecht gelesen, bis der Tag anbrach.<br />

Schon seine Väter hatten ihm gesagt, er besäße weniger Lebensfreude als einer der schillernden<br />

Tausänger, deren Lebenspanne ein Jahr und wenige Tage bemißt... Das konnte man als Auszeichnung<br />

begreifen oder auch nicht. Jedenfalls gab es heute abend Fisch!<br />

Die abgerissene, dürre Gestalt wankte über die Straße, Hände und Schädel in diesem unablässigen,<br />

nicht frierenden Zittern. Einer der Menschen, die in den harten Wintern verschwanden. Graue, ölige<br />

Haut und strähniges Haar. Sie sah, als sie gegen eine Mauer keuchte, den rotwehenden Sammler<br />

schon von weitem. Er kam um eine Biegung durch das warme Abendlicht.<br />

Der Bettler stackste einige Schritte vor und seine knotigen Finger formten eine Mulde: „Edwas“, sagte<br />

er in diesem singend-weinerlichen Ton, „edwas fürejn ahaltn Mahn, lieber...“ Und brach ab. Er mußte<br />

wirklich in schlechter Verfassung sein, daß er nicht einmal seinen ausgeleierten Bittspruch mehr

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