Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Schattenspiele - Claudia Wamers<br />
Ihr kam die Idee, daß sie ihn wohl jetzt besser alleine lassen sollte. Sie krabbelte wieder vom Bett<br />
herunter und wandte sich leisen Schrittes der Tür zu, als Bercan sie anrief. Ihm war eine absurde Idee<br />
gekommen, aber gerade die absurden Ideen verdienen oft größere Aufmerksamkeit.<br />
„Farlina, eine ganz dumme Frage - Du kennst dich doch im Rattenloch gut aus. Ist Dir da jemals<br />
jemand untergekommen, den man einfach nur Großmutter genannt hat?“<br />
Farlina mußte sich schon schwer beherrschen, Bercan nicht mit großen Augen anzustarren. Natürlich<br />
kannte sie jemanden, den man einfach nur Großmutter nannte - das war die schwarze Jakla, die<br />
Großmutter aller „Schatten“, der Straßenkinder der Unterstadt <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>s. Es gab einmal eine<br />
Zeit, da hatte auch Farlina zu diesen Kindern gehört. Das war, bevor Bercan sie aus dem Dreck des<br />
Rattenloches herausgezogen, und ihr die Arbeit bei den Tibrands beschafft hatte. Nur, woher hatte<br />
Bercan den Namen?<br />
Irgendwie mußte ihr Erstaunen doch Zugang zu ihrem Gesicht gefunden haben, denn Bercan bezog es<br />
auf seine Frage und machte eine resignierende Handbewegung.<br />
„Na, laß mal. War ja auch nur 'ne Idee.“ Dann schwang er sich aus dem Bett, um doch endlich<br />
aufzustehen.<br />
„Nun, ich könnte mich ja mal umhören, wenn Du möchtest. Vielleicht finde ich ja diese Großmutter<br />
für Dich. Ich habe da ja immer noch so meine Kontakte, wenn Du weißt, was ich meine.“<br />
Bercan dachte nach, Farlina war nun sowieso schon halb in der Sache drin, und er kannte ihre<br />
notorische Neugier. Sie hatte einmal Interesse gefunden, sie würde wahrscheinlich alles aus ihm<br />
herausbekommen, was sie wissen wollte. Nun gut...<br />
„Nun gut... pflege Deine Kontakte - aber unauffällig. Ich will nicht, daß außer Dir noch jemand etwas<br />
davon erfährt, ja?“<br />
„Aber - Großmutter, wenn sie denn existiert, darf es doch wohl erfahren, oder?“ Farlina wartete ab.<br />
„Ich weiß nicht so genau, ob Großmutter es erfahren darf, daß jemand nach ihr sucht. Versuche sie zu<br />
finden, sage mir wer es sein könnte, und dann sehen wir weiter.“<br />
Bercan war sich wirklich nicht sicher, weshalb Shirinn Großmutter hatte finden wollen. Sie sollte den<br />
Stab bekommen, nun gut - dazu mußte man sie zuerst finden.<br />
Farlina huschte aus der Kammer und überließ Bercan seinen Gedanken. Was hatte sich der Junge<br />
denn jetzt wieder eingehandelt? Was konnte er nur von der schwarzen Jakla wollen? Nun denn, sie<br />
würde einfach einmal Oma fragen, es gab keinen in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>, so war jedenfalls Farlinas<br />
Meinung, der soviel wußte wie die schwarze Jakla. Manchmal war es schon fast unheimlich, was sie<br />
alles wußte...<br />
Nun denn, da war die Brücke, da war der Wachposten, und da... war der bevorzugte Überweg der<br />
Schatten, der nicht ein bißchen Silber kosten würde. Farlina verschwand gekonnt unter der Brücke<br />
und tauchte wenig später unter in den Gassen des Rattenloches. Niemand hatte sie gesehen...<br />
Währenddessen ging Bercan Tibrand seinen leidigen alltäglichen Verpflichtungen nach. Den Stab<br />
hatte er wieder in das Tuch eingewickelt und unter dem Bett verborgen. Das Haarband mit dem Stein<br />
trug er bei sich, eine stetige Erinnerung an einen gegebenen Schwur, der so leicht nicht in<br />
Vergessenheit geraten wollte.<br />
An diesem Tage ließen Bercan die Verpflichtungen im Fuhrunternehmen keine Zeit, sich mit seinem<br />
Problem zu beschäftigen. Futtermittel mußten kontrolliert und nachgekauft, und eine Sendung für den<br />
nächsten Tag zusammengestellt werden. Zwar drängten sich den ganzen Tag über seltsame Gedanken<br />
in den Vordergrund, immer irgend etwas von bunten Lichtern, die ab und zu auftauchten, aber erst<br />
gegen Abend hatte er genügend Muße, wieder intensiv an das Dorf und Shirinn Tayla zu denken.<br />
Während er grübelte holte er den Stein hervor und drehte ihn gedankenverloren in den Händen.<br />
Plötzlich war es ihm, als wäre er im wachen Zustand wieder in seinen letzten Traum verfallen. Unter<br />
seinen Händen und Füßen schien es ihm, als fühle er nur Glas - eigentlich überall um ihn herum war<br />
nur glatte Fläche. Um ihn herum funkelte auch wieder buntes Licht - nur hinter ihm schien es etwas<br />
dunkler zu sein. Aus dieser Dunkelheit hörte er bedrohliches Knurren, das aber mit einer Spur von<br />
Trauer und Schmerz unterlegt war. Langsam drängte sich aus der Dunkelheit ein Gesicht hervor, von<br />
bunten Lichtern ab und zu gestreift, welches ihn voller Furcht ansah. Es war das Gesicht von Shirinn.<br />
Er glaubte fast, er würde sie schreien hören. Es kostete ihn ziemliche Überwindung, den Stein einfach<br />
fortzulegen. Als er es geschafft hatte, waren auch diese seltsamen Visionen vorbei.<br />
Er sah sich den auf dem Bett liegenden Stein genau an, ohne ihn zu berühren. Er sah sich den Stein<br />
ganz genau an. Dann nahm er ihn wieder in die Hand und drehte ihn vor der Flamme der Kerze hin<br />
und her. Er sah bunte Lichter funkeln - das Gefühl in den Traum zurück zu gleiten wurde wieder