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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Schattenspiele - Claudia Wamers<br />

Ihr kam die Idee, daß sie ihn wohl jetzt besser alleine lassen sollte. Sie krabbelte wieder vom Bett<br />

herunter und wandte sich leisen Schrittes der Tür zu, als Bercan sie anrief. Ihm war eine absurde Idee<br />

gekommen, aber gerade die absurden Ideen verdienen oft größere Aufmerksamkeit.<br />

„Farlina, eine ganz dumme Frage - Du kennst dich doch im Rattenloch gut aus. Ist Dir da jemals<br />

jemand untergekommen, den man einfach nur Großmutter genannt hat?“<br />

Farlina mußte sich schon schwer beherrschen, Bercan nicht mit großen Augen anzustarren. Natürlich<br />

kannte sie jemanden, den man einfach nur Großmutter nannte - das war die schwarze Jakla, die<br />

Großmutter aller „Schatten“, der Straßenkinder der Unterstadt <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>s. Es gab einmal eine<br />

Zeit, da hatte auch Farlina zu diesen Kindern gehört. Das war, bevor Bercan sie aus dem Dreck des<br />

Rattenloches herausgezogen, und ihr die Arbeit bei den Tibrands beschafft hatte. Nur, woher hatte<br />

Bercan den Namen?<br />

Irgendwie mußte ihr Erstaunen doch Zugang zu ihrem Gesicht gefunden haben, denn Bercan bezog es<br />

auf seine Frage und machte eine resignierende Handbewegung.<br />

„Na, laß mal. War ja auch nur 'ne Idee.“ Dann schwang er sich aus dem Bett, um doch endlich<br />

aufzustehen.<br />

„Nun, ich könnte mich ja mal umhören, wenn Du möchtest. Vielleicht finde ich ja diese Großmutter<br />

für Dich. Ich habe da ja immer noch so meine Kontakte, wenn Du weißt, was ich meine.“<br />

Bercan dachte nach, Farlina war nun sowieso schon halb in der Sache drin, und er kannte ihre<br />

notorische Neugier. Sie hatte einmal Interesse gefunden, sie würde wahrscheinlich alles aus ihm<br />

herausbekommen, was sie wissen wollte. Nun gut...<br />

„Nun gut... pflege Deine Kontakte - aber unauffällig. Ich will nicht, daß außer Dir noch jemand etwas<br />

davon erfährt, ja?“<br />

„Aber - Großmutter, wenn sie denn existiert, darf es doch wohl erfahren, oder?“ Farlina wartete ab.<br />

„Ich weiß nicht so genau, ob Großmutter es erfahren darf, daß jemand nach ihr sucht. Versuche sie zu<br />

finden, sage mir wer es sein könnte, und dann sehen wir weiter.“<br />

Bercan war sich wirklich nicht sicher, weshalb Shirinn Großmutter hatte finden wollen. Sie sollte den<br />

Stab bekommen, nun gut - dazu mußte man sie zuerst finden.<br />

Farlina huschte aus der Kammer und überließ Bercan seinen Gedanken. Was hatte sich der Junge<br />

denn jetzt wieder eingehandelt? Was konnte er nur von der schwarzen Jakla wollen? Nun denn, sie<br />

würde einfach einmal Oma fragen, es gab keinen in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>, so war jedenfalls Farlinas<br />

Meinung, der soviel wußte wie die schwarze Jakla. Manchmal war es schon fast unheimlich, was sie<br />

alles wußte...<br />

Nun denn, da war die Brücke, da war der Wachposten, und da... war der bevorzugte Überweg der<br />

Schatten, der nicht ein bißchen Silber kosten würde. Farlina verschwand gekonnt unter der Brücke<br />

und tauchte wenig später unter in den Gassen des Rattenloches. Niemand hatte sie gesehen...<br />

Währenddessen ging Bercan Tibrand seinen leidigen alltäglichen Verpflichtungen nach. Den Stab<br />

hatte er wieder in das Tuch eingewickelt und unter dem Bett verborgen. Das Haarband mit dem Stein<br />

trug er bei sich, eine stetige Erinnerung an einen gegebenen Schwur, der so leicht nicht in<br />

Vergessenheit geraten wollte.<br />

An diesem Tage ließen Bercan die Verpflichtungen im Fuhrunternehmen keine Zeit, sich mit seinem<br />

Problem zu beschäftigen. Futtermittel mußten kontrolliert und nachgekauft, und eine Sendung für den<br />

nächsten Tag zusammengestellt werden. Zwar drängten sich den ganzen Tag über seltsame Gedanken<br />

in den Vordergrund, immer irgend etwas von bunten Lichtern, die ab und zu auftauchten, aber erst<br />

gegen Abend hatte er genügend Muße, wieder intensiv an das Dorf und Shirinn Tayla zu denken.<br />

Während er grübelte holte er den Stein hervor und drehte ihn gedankenverloren in den Händen.<br />

Plötzlich war es ihm, als wäre er im wachen Zustand wieder in seinen letzten Traum verfallen. Unter<br />

seinen Händen und Füßen schien es ihm, als fühle er nur Glas - eigentlich überall um ihn herum war<br />

nur glatte Fläche. Um ihn herum funkelte auch wieder buntes Licht - nur hinter ihm schien es etwas<br />

dunkler zu sein. Aus dieser Dunkelheit hörte er bedrohliches Knurren, das aber mit einer Spur von<br />

Trauer und Schmerz unterlegt war. Langsam drängte sich aus der Dunkelheit ein Gesicht hervor, von<br />

bunten Lichtern ab und zu gestreift, welches ihn voller Furcht ansah. Es war das Gesicht von Shirinn.<br />

Er glaubte fast, er würde sie schreien hören. Es kostete ihn ziemliche Überwindung, den Stein einfach<br />

fortzulegen. Als er es geschafft hatte, waren auch diese seltsamen Visionen vorbei.<br />

Er sah sich den auf dem Bett liegenden Stein genau an, ohne ihn zu berühren. Er sah sich den Stein<br />

ganz genau an. Dann nahm er ihn wieder in die Hand und drehte ihn vor der Flamme der Kerze hin<br />

und her. Er sah bunte Lichter funkeln - das Gefühl in den Traum zurück zu gleiten wurde wieder

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